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KUNST UND LITERATUR: DIALOGE DES UEBERGANGS Peter Handke und die Kunst

Von

Heinz-Norbert Jocks

Waere ich ein Maler, ich wuerde ewig nur die Silhouetten malen, fragmentarisch beleuchtet, in den Bussen, Zuegen, MEtros, in den Flugzeugen ueber den Wolken, und diese Bilder waeren andere Georges de la Tours (Peter Handke) CEzanne muss auf Peter Handke wie eine grossartige Offenbarung eingedrungen sein. Davon wissen wir spaetestens seit seiner Lehre der Sainte-Victoire, die uns auf herrlichen Umwegen vor die Bilder des grossen Malers lockt. Um so verwunderlicher, dass der einmalige Text, zwar von der Kritik als epischer Hoehepunkt gefeiert, wohl aber keinen zu fragen veranlasste, wie denn wohl des Dichters spezielles Verhaeltnis zur bildenden Kunst insgesamt einzuschaetzen sei. Ja, es hat zunaechst den Anschein, als stelle der trotz haeufiger Lektuere so eindrucksvolle Traktat ueber den franzoesischen Einzelgaenger nur eine Ausnahme dar und als habe der in einem Pariser Vorort Wohnende eine gewisse, darueberhinaus aber sonst nicht viel mehr besagende Vorliebe fuer Paul CEzanne. Davon ausgehend, dass Handke seine scheinbar so weit auseinanderliegenden Sujets, wozu das Lob der Schwelle, ein gewoehnliches Allerweltsding wie die Jukebox, das Fragen nach den Erfahrungen der Muedigkeit und der Moeglichkeit eines geglueckten Tages gehoeren, variiert, umspielt und erneut fahren laesst, um den Faden eines Themas anderswo wieder aufzugreifen, liegt der Schluss nahe, in der bemerkenswerten Hinwendung zu dem Franzosen stecke mehr als nur ein vereinzeltes Liebesbekenntnis auf Raten. Im Grunde sendet Handke jedesmal, wenn er ein Thema mit Vorsicht, dabei niemals zielstrebig oder auf mitnehmbare Resultate fixiert, umkreist, diverse Rueckschluesse auf das gesamte Werk zulassende Signale aus. Die ewige Wiederkehr seiner Sujets, um die herum er einen geschickten Bogen macht, als scheue er, einen Endpunkt der Definition anzupeilen, ist bei ihm keine Seltenheit, eher hoechstwahrscheinlich und werkbestimmend und hat mitunter Methode. Dass sich der durch die Provence zwischen Aix-en-Provence und Le Tholonet Wandernde, den das Gefuehl, ploetzlich dank CÃÆ’©zanne in den Farben zu stehen, mit der Wucht einer anstachelnden Epiphanie trifft, gleich mehrfach in die Schatzkammern der Malerei als deren muessiggaengerischer Beschauer geschlichen hat, ist kurioserweise unbemerkt geblieben, trotz zahlreicher Anmerkungen seitens des Autors, der in den spannenden, nur schwer entschluesselbaren Dialog mit Kunstwerken aller Zeiten tritt. Ja, den meisten seiner Leser ist bislang entgangen, wie regelmaessig der bei allem Misstrauen in die Sprache doch noch so hoffend Vertrauende mit Werken bildender Kuenstler umgeht. Keineswegs als ein alles in Stilen einteilender, also kategorisierender Kunsthistoriker, der er nie war, sondern als ein von der Wirkung der Kunst auf sich ausgehender Dichter, der, um die Gefahr des Verlustes bei der UEbersetzung in Sprache wissend, es trotzdem wagt, Worte zu finden, die den Austausch mit Bildern mehr erzaehlen denn analysieren. Weitgehends unkommentiert blieben hier und da eingestreute Verweise auf Gemaelde und Stipvisiten in Museen, ob in Wien, Kioto, New York oder sonstwo auf unserem Planeten, oder in Kirchen gesammelte Erfahrungen, wozu die Wahrnehmung von Fresken und das ueberlieferte Ritual der Heiligen Wandlung zaehlen, das er als eine auf Kunst anwendbare Schwellenerfahrung saekularisiert. In der Tat ist Handke kein Gelegenheitsbetrachter von Kunstwerken, sondern einer, der, da er selbst an Bildern arbeitet, sich darauf konzentriert, wie anders diese in anderen Medien zur Wirkung gebracht werden, und das, was da geschieht, durchaus skeptisch beaeugt. Ja, sein Sinn fuer die Kunst, zu der er kritisch Distanz haelt, wird vor allem dort manifest, wo er Maler als Personal seiner Romane auftreten laesst, wie geschehen in Der kurze Brief zum langen Abschied, Der Chinese des Schmerzes, Die Wiederholung und Mein Jahr in der Niemandsbucht. Typisch fuer den von ihm inszenierten Auftritt bildender Kuenstler auf der Buehne seiner Literatur ist deren Anonymitaet, besser noch: die Namenlosigkeit, weshalb dann nur von dem Maler in einem mythischen Tonfall die Rede ist, als sei er vor allem aufgrund seiner professionellen Passion, die Dinge zu sehen, und nicht als eine zu identifizierende Person gefragt. Dabei moechte man wetten, der besonnene Erzaehler waehle solche, die weniger bekannt, aber ihm verbunden und nahe sind, aus seinem Freundeskreis aus. So werden sie doch noch auf Dauer verewigt, am Marktgeschehen vorbei aufgehoben in der Sprache. Jedoch keineswegs musealisiert, sondern fuer immer lebendig gehalten. Zusammengesetzt aus verschiedenen Personen, erscheinen sie wie aus dem Leben geschoepfte Kunstfiguren. So erinnert der sich ueber Schwellen unterhaltende Maler in Der Chinese des Schmerzes partiell an Jan Voss, der fuer Handke sogar eine Schwelle gemacht (hat), mit einer Sonne, einem Buch, Wegen.1 Er ist es, und ist es doch nicht. Handkes auf Friedensstiftung ausgerichteten AEsthetik, die auf den Mehrwert der Anschauung setzt, werden wir auf ganz andre Weise gerecht, sobald wir einen Blick darauf werfen, wie er auf Kuenstler reagiert und welches Bild er von Malern entwirft. Es grenzt denn auch an ein wahres Erlebnis der besonderen Art, wenn wir das in verschiedene Richtungen ausufernde, bestimmte Sujets modifizierende Werk noch einmal im Hinblick darauf durchkaemmen, wie es sich zur Kunst verhaelt. Den Spuren folgend, die er legt, machen wir eine unglaubliche Entdeckung. Nicht nur, weil wir auf eine Unmenge von Sentenzen stossen, die Handkes unersaettliche Seh- und Lesewut belegen, die von Beckmann, Braque, Breughel, CEzanne, de Chirico, Corot, Courbet, DalI­ ueber Delacroix, Max Ernst, Sam Francis, Goya, Gruenewald, Hogarth, Hopper, Kandinsky, MIro, Picasso, Pisomani, Poussin, Rembrandt bis zu Rothko, Jakob van Ruisdael, Julian Schnabel, Emil Schumacher, Tizian, Georges de la Tour, Jan Voss, VelASzquez und Andy Warhol reicht, sondern auch deshalb, weil er, dessen willentliche Begriffstutzigkeit auf ein phaenomenologisches, ja offenes Sehen zielt, sich mehr an Bildern als an anderem vorwaertsreibt, und zwar aus dem wilden Verlangen nach mehr Bodenhaftung oder Bodenstaendigkeit seines erkaempften In-der-Welt-Seins. Darum, was ihm das nur ungenuegend erforschte Reich der durch nichts abgenutzten Bilder im Gegensatz zu den manipulierten mit Tendenz zur Ideologisierung, gegen die er sich zur Wehr setzt, bedeutet, kreisen seine das Schreiben begleitenden UEberlegungen. CEzannes Aufbruch zum Motiv Wissend, wo die Gefahr lauert, dass Woerter von der Erde wie Flugkoerper abheben und uebergangslos ueber allem hinweggleiten, als haette sich alles in luftig Immaterielles aufgeloest, neigt er zu einer jede Wendung der Dinge vorsehenden, sich nach Einzel- wie nach Ausnahmefaellen richtenden, dadurch sie wuerdigenden Sprache. Am Sichtbaren wie an einer Leitplanke vorbei, bezeichnet sie, was der Fall ist. Ja, es draengt ihn zu einer von der Authentizitaet der Erfahrung und dem Tonfall des Eigentlichen, der ja in der heutigen Philosophie als unzeitgemaess gilt, gepraegten Literatur. Der Glaube an eine Sprache diesseits der mit eigenen Augen ertasteten Welt bekommt hier noch einmal eine reale Chance. Sich fragend, wie es heute noch moeglich sei, der Verwirrung von Auge und Geist durch die Sprache zu entkommen, besinnt er sich, dabei angeregt durch Homer, Sallust, Thukydides, Virgil, Stifter, Eichendorff, Goethe, Keller und anderen, auf die Kraft des Ursprungs des Erzaehlens und die Qualitaet des Bildhaften. Daraufhin, was das Ohr hoert und das Auge sieht, bewegt er sich durch die Tatorte der Neuen und Alten Welt, und natuerlich nicht nur dort, wie ein Odysseus unserer Tage, der im Dickicht der Zwischenraeume seine von allem Bedrohlichen befreiten Augenabenteuer sucht. Oft tagelang unterwegs, und dann mit Vorliebe zu Fuss, als sei so am ehesten ein direkter Bezug zu allem, was ihn umweht, herstellbar und die Orte als Wirklichkeit erlebbar. Deshalb der Rat des Schwellenkundigen, sich nicht nur mit dem Auto irgendwohin kutschieren zu lassen, sondern die Schauplaetze so zu ergehen, wie er es auf seiner so unspektakulaeren Reise zur Montagne Sainte-Victoire nach CEzanne tat.2 Dieses ungeheure Begehren, sich Orten mit dem ganzen Koerper auszusetzen, um sie an sich zu spueren, teilt er mit CEzanne, von dem er eine signifikante Photographie erinnert. Sie zeigt den Maler, wie er sich behutet und mit den auf den Ruecken geschnallten Malwerkzeugen auf einen dicken Stock abstuetzt, als verkoerpere er die mythische Legende: Aufbrechen zum Motiv.3 Es ist diese Form des beharrlichen, keine Muehen scheuenden und inspirierenden Unterwegsseins zu den Dingen selbst, die auch Handke als ein sich auf die Reise machender Augen-Zeuge verwirklicht. William Hogarths Line of Beauty and Grace Wie so ein Wirklichkeitsgefuehl im Hier und Jetzt denn moeglich sei, fragt Handke. Dazu entwickelt er insgeheim, ohne derartige Begriffe ueberhaupt in den Mund zu nehmen, so etwas wie eine Ontologie des Hier-und-Jetzt-Seins, die sich nicht damit begnuegt, auf morgen zu verschieben, was heute schon moeglich ist. Deshalb sein Versuch ueber den geglueckten Tag als eine Vision gegen jeden Aufschub. Dabei ist er sich des Schwierigkeitsgrads solch eines Unterfangens bewusst, den er mit einem schoenen, obschon profanen Beispiel trifft. Danach hofft er auf das pure Anwesendsein, so wie es von der letzten Frau Picassos zum Beispiel hiess, sie habe nichts getan, als in seinem Atelier anwesend zu sein? Es leuchtet ihm ein, wie schwer ein geglueckter Tag wie dieser sein werde4, an dem nichts anderes zu verrichten sei, als vom ersten bis zum letzten Augenblick gegenwaertig zu sein. Kein Wunder, oder doch?, dass Handke seinem Wintertagtraum als Einstieg die Umschreibung eines Selbstbildnisses von William Hogarth, in London, voranstellt. Ja, er laesst sich von der Malerei eine erste Ahnung geben, sozusagen als ein beispielhaftes PrElude aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ein Augenblick scheint da auf, mit einer Palette, auf dieser, sie zweiteilend, ungefaehr in der Mitte, eine leicht geschwungene Linie, die sogenannte Line of Beauty and Grace. Und ein flacher, gerundeter Stein vom Ufer des Bodensees auf dem Schreibtisch, in dem dunklen Granit, als Diagonale, mit einer feinen, wie spielerischen, genau im rechten Moment von der Geraden abweichenden Kruemmung, eine kalkweisse Ader, welche beide Haelften des Kiesels trennt und zusammenhaelt. Von dem Bild aus gelingt Handke dann der sanfte UEbergang, ueber drei Jahrhunderte hinweg, zur Jetztzeit der Erzaehlung, wodurch das Gemaelde, so ganz nebenbei, als etwas Dauerhaftes verbuergt ist. Prompt, als waere nur ein Wimpernschlag vergangen, befinden wir uns auf jener Fahrt in jenem Vorortzug zwischen den Seine-Huegeln westlich von Paris und erleben jenes ploetzliche Ausscheren der Gleisstraenge, zu einem weiten Bogen (...), hoch ueber der unversehens sich in der Flussniederung frei wegdehnenden ganzen Stadt samt ihren, dort auf der Hoehe von St. Cloud und Suresnes, so verrueckt wie wirklich sich auftuermenden Wahrzeichen. Dort, unterwegs mit Kurs auf die Banlieu, wo Handke wohnt, waehrend des Abendwerdens, dann die Wiederkehr der fast schon abgelegten Idee von dem geglueckten Tag, und ein Satz spaeter dann das Aufzeigen der Linie der Schoenheit und der Anmut auf Hogarths Palette, die sich regelrecht den Weg durch die unfoermigen Farbmassen zu bahnen scheint. Sie wirkt zwischen diese eingegraben, und zugleich ist es, als werfe sie einen Schatten.5 Mit diesem so assoziativen wie tollkuehnen und genau bedachten Glanzstueck, in dem sich die UEbertragung von Hogarths Gemaelde in Schrift vollzieht, naehert sich der Schriftsteller dem an, was ein geglueckter Tag denn sei. Ja, es scheint, als nehme Handke die Linie der Schoenheit und Anmut als ein Hinweis darauf, ein geglueckter Tag sei eben keine geglueckte Linie ohne Abbrueche, sondern eine, die sich mit Unterbrechungen und einem Wieder-neu-Ansetzen ihren Weg ebnet, an dessen Ende vielleicht ein doch noch geglueckter Tag quittiert wird. Nun denkt Handke keineswegs unhistorisch, wenn er vom Ansehen eines Bildes uebergeht in ein Betrachten, aus dem zunaechst ein Sinnen und dann ein Verknuepfen wird, so dass jeder aufmerksame Blick unweigerlich zu theoretisieren anfaengt.6 Deshalb die Erinnerung daran, dass sich Hogarths achtzehntes Jahrhundert, im reichen autonomen England jedenfalls, als eine ganz irdische Fuelle der Zeit verstand, und deshalb seine Frage, ob des Malers Linie der Schoenheit und der Anmut nicht untauglich sei fuer unser Jahrhundert jetzt und ob es in unsere Zeit nicht besser passe, dass solch ein Gebilde immer wieder abbricht, ins Stottern, Stammeln, Verstummen und ins Schweigen kommt, neu ansetzt, Seitenstrecken nimmt - dabei jedoch zuletzt wie eh und je auf eine Einheit und etwas Ganzes hinzielt?, und deshalb die Vermutung, dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts seien die Ideen vom einzelnen geglueckten Tag gemaesser als die von gleichwelcher Ewigkeit oder einem gesamt-geglueckten Leben.7 Der Kern dieses Sinnens, entlang des Bildes, zielt darauf, der Vertagung des Lebens durch UEbergehen des Tages Einhalt zu gebieten. Auf die Frage, was ein rechtes Tagesbewusstsein meine, antwortet er nicht nur mit seinem Versuch, sondern auch an andrer Stelle mit Bemerkungen zu Bildern von Jan Voss, die ein jedes gleichsam das Bild des Tages darstellen. Nach Ansicht des Schriftstellers entwirft Voss mit jedem Bild neu seine geographische Karte von dem einzelnen Tag, (...) mit vielen Pfaden, Zwischenraeumen, Dingen, Tieren, Menschengestalten - Zeichen geworden im Lauf jener Durchquerung des Tages. Sonne, Haus, Baeche, Frau. Zeichnend wie malend durchsteht der Kuenstler den Tag, dessen Geographie, so Handke, seltsamerweise auf dem Lande angesiedelt, obwohl Voss ein Bewohner der Metropole und der Vorstadt sei.8 Mit einem Kunstwerk, auf dem ein Tag sich darstelle, verbindet sich fuer Handke die Hoffnung, dieser werde Endlich Wirklich!.9 Der Ausruf, von Handke vor einem Kunstwerk erhofft, ist im Grunde genommen so etwas wie ein Postulat, verbunden mit der Frage nach dem Weg, auf dem sich solch ein Wirklichwerden der Welt, des Tages, der Dinge, der Gesten und der Kleinigkeiten ereignet. Verweisend auf Kunst und Literatur, denen es obliegt, das Sein staerker in der Welt zu verankern, erblickt er in den Medien ein effektives Mittel, der Welt naeherzukommen. Kunst und Literatur sind eben keine Barrieren, sondern Bruecken zur Welt, in der das Sein sich zu behaupten hat. Zeichnen gleich Sehen gleich Dasein Schon in Der kurze Brief zum langen Abschied, - ein Buch, in dem der Ich-Erzaehler mit Kellers Gruenem Heinrich im Gepaeck, quer durch die USA irrt, auf der Flucht vor wie auf der Suche nach seiner Frau Judith -, enthaelt dazu einen deutlichen Wink auf Abruf. Darin eine Passage ueber den Erzaehler, der, im Hotel zurueck, liest, wie der Gruenen Heinrich nach der Natur zu zeichnen anfing und doch erst nur das Abgelegene und Geheimnisvolle darin suchte. Indem er zerrissene Weidestruenke und Felsgespenster dazuphantasierte, wollte er die Natur uebertrumpfen, um sich selber als Beobachter interessanter zu machen. Dieses fiktive Hinzuphantasieren als ein gruselndes Abheben von der Wirklichkeit, wie sie ist, und als Wirklichkeitsverlust wird darauf zurueckgefuehrt, dass ihm, weil er so wenig von sich selber wusste, (...) die einfach vorgegebene Natur noch nichts sagte. Es bedarf eines naturkundigen Lehrers, der darauf aufmerksam macht, dass die Baeume, die er zeichnete, ja einer dem anderen aehnlich saehen und alle zusammen keinem wirklichen. Die bodenlose Ferne einer solchen Phantasie zur Wirklichkeit zeige sich daran, so der Naturerkunder, dass de facto Felsen und Steine keinen Augenblick so aufeinanderliegen koennten, ohne zusammenzufallen. Erst, als der Gruene Heinrich, dazu von seinem Verwandten ermuntert, mit dem Zeichnen seines Besitztums anfaengt, sieht er sich gezwungen, die Gegenstaende einmal genau anzuschauen. Von da an geben ihm die allereinfachsten Dinge, sogar die Ziegel auf dem Dach, mehr zu schaffen, als er je gedacht hatte. Wie dem Gruenen Heinrich, so ergeht es auch seinem handkeschen Leser, der wegen seines verschrobenen Sinns fuer die Umwelt nie weiss, wie etwas wirklich aussieht, weshalb er aus Beschreibungsimpotenz die Flucht in die Fiktion von Absonderlichkeiten antritt.10 Der Ausweg aus dem Dilemma des Verharrens im Unwirklichen erfolgt mit dem Zeichnen als ein phaenomenologisches Zurueck zu den Dingen, verbruedert mit einem Gefuehl fuer das Allernaechste. Ein Motiv, von Handke wieder und wieder variiert. Zuletzt in der Niemandsbucht, zuvor jedoch in der Langsamen Heimkehr, wo der Geologe Sorger das Zeichnen, auch in der Arbeit, dem Fotografieren vor(zog), weil ihm dabei erst die Landschaft in all ihren Formen begreiflich wurde. Und zwar so stark, dass ihm ueber die Entdeckung des Reichtums von Formen sogar in einer scheinbar ganz eintoenigen OEdnis mit Hilfe des Nachzeichnens von Linie zu Linie jede Gegend erst richtig naeher kam, und zwar ganz ohne die in seiner Wissenschaft ueblich gewordenen Schematisierungen und Weglassungen. Ergebnis dieses so meinungs- wie urteilslosen Hinterherreisens mit dem Stift auf leerem Papier ist auch hier das Gefuehl, erst durch den regelrecht erarbeiteten Ortsbezug dagewesen zu sein.11 Es ist, als sei das Zeichnen ein Lokalisieren, Spurenverfolgen, aber auch ein Warmwerden mit allem um ihn herum sowie ein Sehen, was die Welt ist. Aber auch, was einst an einem aufgesuchten Ort geschehen ist, wird spuerbar beim Abzeichnen einer durch das Erdbeben aus dem tieferen Untergrund an die Oberflaeche gekehrten Erdstelle, deren Schichten einen Richtungswechsel aufweisen, der die Gewalt der grossen Katastrophe ansichtig macht.12 Zeichnend wird die Welt, so wie sie ist, realisiert und die Flucht aus ihr verhindert. So wird der Mensch nicht nur Zeuge der Ereignisse, sondern lernt auch, die Schoepfung aus sich heraus zu verstehen. Doch keineswegs als ihr blinder Bejaher, sondern als ein Bemerker der feinen Unterschiede und der schoenen Mannigfaltigkeit separierter Erscheinungen. Das von Handke hier Ersonnene erhaelt in der Niemandsbucht noch eine Zusatzvariante. Auch der dortige Maler ist im Skizzieren von Dingen ein Debuetant, taeglich zeichnend nach der Natur, und auf jedem Blatt jeweils nur eine Sache, ein Silex, ein Strauch, eine Erdpyramide, eine Flusswelle. Von Portugal aus flussauf wandernd bis in den Winter von einer Zeichenstation zur naechsten dann schliesslich die Idee, wonach eine, statt weggesperrte, neue Fels-Malerei kommen muss. Eine, so feierlich wie das Leben, zu der die Voelker aufbrechen und vor der sie still werden und dann weggehen, gehen und gehen.13 Ganz nebenbei wird da eine Vorstellung von Malerei in den Satzverlauf eingeflochten, die Abschied nimmt von Museen und Galerien und sich draussen in der Natur als etwas wegen seiner Aura Verehrungswuerdiges offenbart, wenn nicht schamanenhaft, so doch vielleicht als etwas Mystisches. Auch dies ein ueberraschendes Bekenntnis zum Religioesen. Dass der Maler dem Ich-Erzaehler dann eine Sammlung mattschwarzer, allesamt schon von ihm angebrauchter Bleistifte fuer die Weiterreise zum Zeichnen in seinem Notizbuch ueberreicht14, erweist sich als gar nicht mal so versteckter Zeig auf des Dichters eigene Neigung, neben den Notizen Dinge zu zeichnen, um sich, wie sein Ich-Erzaehler sagt, auf dem Erdboden zu halten. Auf diese Weise will er der Aufloesung in der Ekstase entgegenwirken. Handke geht es dabei wie seinem imaginaeren Ich nicht um Beobachtungen an dem speziellen Land und Leuten. Wenn auf den Zeichnungen des Ich-Erzaehlers allein sich Dinge fanden, die ueberall haetten sein koennen, wie ein offenes Paar Schuhe, von oben gesehen, oder ein Blitzableiter, der unten verschwand in einem Klumpen Beton15, so sind es in Handkes Notizbuechern, von denen einige Blaetter in Abschied des Traeumers vom Neunten Land abgedruckt sind, periphere Dinge wie eine wenig bebaumte Buckelwiese mit Holzhaus, ein Brotkorb, eine Tasse CafE mit Milchfetzen, die ausschauen wie von viel Wasser durchzogene Inseln, ein Steinbruch in Kaarst oder Kalkstein mit Weiden. Aber auch eine Jukebox mit der Rueckenlinie eines auf einem Stuhl Sitzenden davor ist ein von Handke gezeichneter Gegenstand, der ihm durch den engen, am Gegenstand entlangfahrenden Auge-Strich-Tanz erst wirklich wird. Picasso und Hopper und Pop-art und keine Jukebox Eine andere, naemlich literarische Annaeherungsform an ein Ding wie die Jukebox hat der Liebhaber des UEbersehenen mit seinem Versuch ueber die Jukebox gewagt. Diese Erzaehlung, - mehr als nur die Darstellung eines Geraets, dessen Zeit in den meisten Laendern und an den meisten Orten so ziemlich vorbei16 zu sein scheint-, ist so etwas wie ein vorlaeufiger Aufklaerungsversuch des Autors ueber die Bedeutung des Dings in den verschiedenen Phasen seines Lebens.17 Mal wieder zaehlt der eigene Augenschein mehr als das darueber Geschriebene, und schon wieder sucht Handke in den Reihen bildender Kuenstler nach Komplizen, in deren Darstellungen die Jukebox, wenn auch nur als Accessoire, vorkommt, aber vergeblich. Dabei weiss er, wo er zu suchen hat. Ja, nicht einmal die Kuenstler der Pop-Art, mit ihrem Vergroesserungsblick auf alles Serienhafte, alles Nicht-Originale, alle Zweitdinge, schienen sie eines In-den-Blick-Rueckens wert zu halten. Nur vor wenigen Bildern Edward Hoppers, mit den vereinzelten Gestalten in den naechtlichen Bars des Stadt-Niemandslands, hat er fast eine Halluzination davon: als seien die Dinger da, aber gleichsam weggemalt, ein leerer leuchtender Fleck.18 Es ist der ins Abseits gestellte und vom Lauf der Geschichte ueberholte Gegenstand, dem er sich sprechend zuwendet. Bei den Vorueberlegungen, wie sich ein solcher Versuch umsetzen liesse, schwebte ihm, wie er uns mitteilt, ein Ausspruch Picassos als ein moegliches Motto vor(.): die Bilder mache man wie die Prinzen ihre Kinder, mit den Schaeferinnen. Nie bilde man das Pantheon ab, nie male man einen Fauteuil Louis XV., sondern man mache Bilder mit einer Huette des Midi, mit einem Paeckchen Tabak, mit einem alten Stuhl. Und das wohl deshalb, weil ihm auch die Jukebox zunaechst wie ein solches Ding erschien. Doch je naeher dann aber die Verwirklichung kam, desto weniger uebertragbar erschien ihm dieser Maler-Satz auf einen Gegenstand des Schreibens. Zu uebermaechtig, zu ausschliesslich und auch zu ansteckend (mit Sehnsucht, sie in die gemaesse Sprache zu uebersetzen) hoben die epische Traeume an, und zwar, wie er das schon seit der Jugend kannte, zu seiner steten Verwunderung, jetzt gegen die Wintersonnenwende Nacht fuer Nacht, ausschliesslich, sozusagen verlaesslich; schon mit dem ersten Halbschlafbild ging das Tor der Erzaehlung auf, und diese skandierte sich ihm nachtlang vor. Und ausserdem: Was hatte ein Ding wie die Jukebox, Plastik, Buntglas, Chromblech, ueberhaupt zu tun mit einem Stuhl oder einer Feldhuette? - Nichts.-Oder doch etwas?19 Wie so oft gruebelt Handke nicht nur darueber nach, worin sich das Tun eines Malers von dem eines Schriftstellers unterscheidet, sondern auch darueber, ob ein so banaler Gegenstand wie die Jukebox ueberhaupt erzaehlenswert sei. Denn aufgepasst, eine Erzaehlung unterscheidet sich von einem Bericht, vorgesehen fuer ein Wochenend-Magazin. Aber worin? In Handkes Fall darin, dass er die Umstaende der Reise, auf der er sein Vorhaben realisiert, gleich miterzaehlt und dabei zu einer Spuren aufnehmenden und mit der Patina des Ereignislosen ueberzogenen Geschichte gelangt, die sich an keiner Darstellung festbeisst, sondern zu einem weiten Bogen ausholt. Ganz so, als koenne nur umweghaft eingekreist werden, in was fuer einen nur zu erzaehlenden Zusammenhang so ein Ding wie die Jukebox gehoert. Haette Hopper sich ihrer als Mal-Gegenstand angenommen, so waere er trotz seines genialen Malerauges allenfalls dazu befaehigt gewesen, sie zum Requisit einer traurigen Vergangenheit zu machen, ohne dass diese dadurch gleich fuer uns benennbar waere. Ja, das Maximum des von Gemaelden la Hopper zu Erwartenden waere, dass sie sich als Ausloeser von Stories eignen, die Handke, der vorfuehrt, was das Epos darueber hinaus vermag, aus tiefer Abneigung gegenueber allem Illustrativen dann doch nicht erzaehlt. Er neigt dazu, den Gegenstand dadurch zu realisieren, dass er dessen allgemeine Geschichte als selbst erlebte und erfahrene aufschreibt. Der Zugang zu dem Ding fuer uns erfolgt da ueber die mit diesem verknuepfte Geschichte. Peter Pongratz, Gregor Keuschnig und das schizoide Auge Es zeigt sich, dass bei Handke weder das Einzelne vor dem Zusammenhang noch der Zusammenhang vor dem Einzelnen Vorrang hat. Dass es mit seinem Wunsch nach Balance eine besondere Bewandtnis hat, eroertert er wieder und wieder. Am offenkundigsten dort, wo er den Verlust des Zusammenhalts und die Zersplitterung des Ganzen weniger als eine bedrohliche Form extremer Selbstgefaehrdung beklagt denn als ein maechtiges Gefuehl des Ausgeschlossenseins, als Anfang neuen Sehens sowie als durch die Hintertuer hereintretende Rettung verlorener Unschuld darstellt. So traeumt Gregor Keuschnig in Die Stunde der wahren Empfindung ganz kafkaesk, ein Moerder zu sein, und fuehlt sich von dem Moment an wie einer, der sich, aus der Mitte seines Lebens herausgerissen, fortwaehrend beobachtet, ertappt oder durchschaut fuehlt. Er fuehrt ein Doppelleben wie einer, der so tut, als waere nichts geschehen. Immer auf der Hut vor den anderen, in eine Randposition innerhalb der Gesellschaft, mit der er nicht mehr auf normalem Level kommuniziert, gedraengt und so heftig aus der Bahn geworfen, dass er den Sinn dessen, was er sieht, nicht mehr so begreift wie zuvor, ist er so ueberaufmerksam wie schizoid, dabei ein ewiger Zuschauer, darin teilnahmslos und ausgesperrt und wehrlos dem ausgeliefert, was er sieht. Doch gerade deshalb verfuegt er ueber ein anderes Auge, das geradezu zwanghaft auf ein volles Registrieren alles dessen ausgerichtet ist, was ihm in die Quere kommt. So wie sein alter Ego Josef Bloch in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, der ohne Plan eine Kirche betritt und dort von einer Bank aus das Deckengemaelde ueber sich anschaut, geradezu Robert-Walser-artig. Nebenbei bemerkt er, dass es sich um jenes Gemaelde handelt, das er aus dem in seinem Gasthofzimmer ausgelegten Prospekt kennt. Ihm entnimmt er, dass an Vorder- und Hintergrund des Gemaeldes verschiedene Maler gearbeitet hatten; die Figuren im Vordergrund seien schon lange fertiggestellt gewesen, als der andere Maler noch immer den Hintergrund ausgemalt habe. Indem Handke vermeidet, den Ort zu benennen, laesst er uns bewusst im Unklaren darueber, wer das Gemaelde wann gemalt hat. Ja, da sein Antiheld eben alles so sieht, als waere es von gleicher Ungueltigkeit, sind Namen Schall und Rauch. Fuer Bloch sind die Figuren auf dem Gemaelde, obschon Gestalten aus der Biblischen Geschichte, eher nichtssagend. Deshalb seine Langeweile beim Anschauen, die den Bedeutungsverlust anzeigt, und trotzdem das angenehme Gefuehl beim Schauen hinauf zum Gewoelbe, dessen Hintergrund einen ziemlich unbewoelkten, fast gleichfoermig blauen Himmel darstellt, der dem Regen, der ihn offensichtlich in die Kirche hat fliehen lassen, entgegengesetzt ist. Als traeume er sich in das von ein paar Schaeferwolken nur leicht gestoerte Blau hinein, macht sich Bloch seine Gedanken darueber, ob der Hintergrund nicht deswegen wie ein Himmel aus(sah), weil man gewohnt war, sich im Hintergrund den Himmel zu denken, sondern weil der Himmel dort Strich fuer Strich hingemalt war und ob der Maler aus Wut den Vogel am Anfang hingemalt oder hatte er ihn erst hineingemalt, als er dann fertig war und wie viel Quadratmeter der Maler hatte ausmalen muessen und ob es schwierig gewesen war, so gleichmaessig blau zu malen? Dazu, dass man die Farbe wohl mit Weiss hatte mischen muessen, fragt er sich, wie man es wohl hinbekommen hatte, dass der Blauton sich nicht von Maltag zu Maltag aenderte?20 Mehr darin vertieft, worin der Unterschied zwischen Kuenstler und Malermeister beim Auftragen von Farbe besteht, kommt er zu dem Schluss, hier sei der Himmel wirklich gemalt worden. Er verrennt sich bei seinen UEberlegungen zur Malerei in ein Sinnen ueber eher Nebensaechliches, das dadurch erst ins Licht rueckt, und kehrt dadurch zum Anfang des Fragens zurueck. Die stete Verwandlung des Himmels Vermutlich hat Handke hier die mit seinem langjaehrigen Freund und Maler Peter Pongratz, dem in der Stadt aufgewachsenen Sohn aus buergerlichem Haus, in den spaeten Sechzigern verbrachte Zeit verarbeitet. Ihn lernte er zu einer Zeit kennen, als er Veranstaltungen des Forum Stadtpark in Graz ab 1963 besuchte, wo Pongratz arbeitete und Lithos druckte und er selbst mit Kuenstlern und Kulturveranstaltern zusammentraf. Mit Pongratz teilte er die Freude am Unsinn, die Lust zu bloedeln21 und die Liebe zur Welt der Bilder. Er erinnert, wie er an Nachmittagen vor einem Bild von Pongratz davorgesessen ist. Darauf das bekannte Motiv des Schutzengels, der ein Kind ueber den Bachsteg fuehrt, und der Himmel, der immer ein Nachmittagshimmel war, und wenn es draussen zu daemmern anfing, daemmerte es auch auf dem Bild geheimnisvoll, bis sich der Himmel auf dem Bild, wenn der Tag sich neigte, in einen Abendhimmel verwandelte.22 Erfahrungen mit Bildern, ueber die er in zwei Aufsaetzen von 1966 und 1974 berichtet, und zwar so sehr in die Seele seines Gegenuebers vertieft, dass klar wird, wie intensiv er sich mit dem befasst hat, was der Maler ihm uebermittelte, durch Bilderzeigen und gemeinsames Sprechen. Er memoriert, wie sie in Insbruck dann richtig miteinander geredet haben, auch ueber Malerei, wie sein Freund sich ein Buch von dem Alpenmaler Joseph Anton Koch kaufte, waehrend er sich einen Ullstein-Krimi von Raymond Chandler besorgte.23 Im regelmaessigen Miteinander bemerkte er die naive und unbefangene Art, mit der Pongratz der Welt gegenueberstand. Denn kaum, dass er Zusammenhaenge zwischen Gegenstaenden erkannt zu haben glaubte, erzaehlte er immer mehr, was es mit den Frauen als Gattung auf sich hat. Obwohl ungeordnet und jenseits von logischen Saetzen und geometrisch uebersichtlichen Bildern, verkoerperten die Gedanken und die Kunst des Freundes eine komplizierte Ordnung und reizvolle Wahrheit. Pongratz hatte laut Handke keine klare und zu Linien abstrahierte Welt vor Augen, sondern eine wirre, die mit der Wirklichkeit draussen nichts zu tun hatte, weil es eben seine ist, weshalb die von ihm gemalte mehr die Wirklichkeit dieser Wirklichkeit in ihm und darum mehr wahr ist. Er, der sich im Unueberschaubaren, im Verschlungenen, im Kontrast starker und zarter Linien, im Nichtkomponierten, im Irren erkannte, glaubte, so Handke, an sein Bild von der Welt. Und zwar so fest, dass er Bilder anderer, die seiner Vorstellung widerstrebten, verwarf.24 Damals in Innsbruck erfuhr Handke, dessen Einlassung auf die Vorstellungswelt des Malers den Grad der Verstrickung verraet, denn auch erstmalig von der Neigung des Freundes zur Malerei der Schizophrenen, an der das Ausscheren des scheinbar logischen Bewusstseins ueberrascht. Die Intensitaet, mit der Handke sich darin vertiefte, wie sich eine vorgetaeuschte Ordnung ploetzlich durch eine Linie verirrt, und die Aufmerksamkeit, mit der er verfolgte, wie geschwind an einem scheinbaren Bild der Wirklichkeit durch eine irreale Farbe oder eine irreale Linie oder eine irreale Anordnung real abgebilderter Gegenstaende ein Haken ist, der die richtige Wirklichkeit, naemlich die des einzelnen, des Kranken, zeigt, sprechen dafuer, dass er dieses Zerreissen einer Ordnung sich mindestens vorstellen kann, wenn nicht sogar im Ansatz selbst erlebt hat oder dass er dem zumindest etwas abgewinnen kann. Den feinen Unterschied zwischen einem Schizophrenen und dem Maler erkennt Handke darin, dass der Maler, der statt die Gegenstaende, eben seine Eindruecke davon malt, seine Bilder von der Welt geben will.25 Auffallend findet Handke den Widerspruch, dass Pongratz einerseits von moeglichen grausamen Szenen in Wildwestfilmen wie ein Kind fasziniert und auch willens war, derartige Geschichten selbst bis ins Extreme so erfinderisch wie spielerisch auszugestalten, waehrend er aber vor den wirklichen im tatsaechlichen Leben zurueckschreckte. Damit, dass uns Handke hier etwas erklaert, womit er immer ein Stueck sich selbst meint, haelt er nicht hinterm Berg. Er bekennt sich ausdruecklich dazu, dass die Beobachtungen auch auf ihn selbst zutreffen koennten. Mehr noch, er spricht sogar die Warnung aus, wonach alles Gesagte eben seine Eindruecke von Pongratz und damit seine Wahrheit sei, zu der er nur insoweit gelange, wie er sich selber kenne.26 Ein Grund mehr, anzunehmen, Handke gebe hier etwas von seiner Innenwelt und der Summe seiner Selbsterkenntnisse preis, wenn auch einschraenkend, dass sein erster Blick auf die Bilder seines Freundes insofern sachlich gewesen sei, als seine eigenen Bilder und Erinnerungen andre seien und dass seine Bilder schon vor der Niederschrift in ihm hausten, waehrend sein Freund sie erst im Augenblick des Malens hervorbringe. Eine Form der Abgrenzung, die demonstriert, wie sehr Handke vor Verwechslungen gefeit und auf Unterscheidung aus ist. Lieber nimmt er fuer seine Art des Rueckrufs erlebter Bilder die grossen Zeichen Pichlers in Anspruch27, bei dem die Einheit zwischen Biographie und Werkverzeichnis selbstverstaendlicher als bei Pongratz und dessen baeuerliche, mit so wenig Dingen, dass man sich an diese als an BILD-Zeichen erinnert, gefuellten Welt ihm vertrauter sei.28 Was fuer Handke den diskreten Charme des Wiederfindens von schon im Bewusstsein abgespeicherten Bildern durch das Schreiben ausmacht, ist fuer Pongratz das Anfertigen von noch nicht dagewesenen Bildern beim Malen. Deswegen versieht der Schriftsteller die Arbeit des Malers mit Adjektiven wie unwirklich, bedingungslos egoistisch, nichtreflexiv, nichtkontemplativ, verwirrt und verworren, unmittelbar, anfang- und endlos, spontan und konzentriert, und deswegen behauptet er, den Bildern des Freundes die Geschichte des Malens anzumerken, und zwar eine schwierige, formal peinlich kontrollierte, dichte, assoziative Geschichte eines Bewusstseins zu einer bestimmten Zeit.29 Ausgestuelpt wird da, was in dem Maler waehrend der Ausuebung seiner Profession vorging. Wort und Pinselstrich In seinem zweiten Essay, acht Jahre spaeter, konstatiert Handke die Unvoreingenommenheit der beiden in ihrer Beziehung zueinander, durch die der Dialog des UEbergangs erst fruchten konnte: Trotz zehnjaehriger Freundschaft mit dem Maler, trotz des langen Zusammenseins, auch durch Tage, Naechte und Wochen, in verschiedenen Staedten und Laendern, und trotz des sogar einmal Nebeneinanderschlafens in den Ehebetten eines zu einem Atelier erklaerten Bauernhauses im suedlichen Burgenland, blieb der Umgang miteinander, welch Seltenheit!, voellig sachlich. So, als traete jeder, mit ruhiger Neugier und in Anerkennung der Schwelle zwischen Ich und Du, aus seiner Welt vor die des anderen, ohne sich aber hineinzubegeben. Ganz so, als blieben sich Literatur und Malerei immer ein Stueckchen fremd. Wegen der Vertrautheit, die da bestand, war es, so Handke, moeglich, ueber die Arbeit des anderen vielleicht kritisch zu reden, was wegen der Distanz aber nie gereizt geschah, wie sonst bei sogenannten Kuenstlerfreundschaften. Beide tauschten sich begierig darueber aus, mit welchen Vorstellungen beispielsweise der andere zu arbeiten anfing und wie sich diese waehrenddessen aenderten oder auch zerstoert wurden, und so erfuhr Handke etwas ueber die bei aller sonstigen Unvergleichbarkeit der Medien doch noch existente Vergleichbarkeit der fuers Malen und Schreiben geltenden Schemata, die jedes Wort und jeden Pinselstrich ansaugen wollten. Auf deren UEberwindung und darauf, diese mit vollem Bewusstsein und vollem Gefuehl zu umgehen, kam es beiden bei der Arbeit an, die aehnlich war, wobei Handke sich an die bewusste BENUTZUNG der Schemata als Zitate und Kuerzel und daran erinnert, sie als Mal- oder Redewendungen hingestellt zu haben. Darueber zu reden, war nur moeglich, weil die Arbeit vergleichbar war30, und offenbar so gewinnbringend, dass Handke auf literarischer Ebene gleich zwei Mal in den Fluten abseitiger Schizo-Wahrnehmung tauchte. Sowohl in der bereits erwaehnten Stunde der wahren Empfindung als auch in der oft zitierten sprichwoertlichen Angst des Tormanns beim Elfmeter entwickelt er aus einigen Symptomen der Schizophrenie wie der sich verselbstaendigenden Bedeutungsdissoziation von wahrgenommenen Bildern ein Modell fuer eine Geschichte31, die erzaehlt wird, als klebe an dem Ausbruch aus der Normalitaet, wie man sie lebt, nichts Pathologisches, sondern etwas fuer jeden Nachvollziehbares. So entsteht die Geschichte eines Mannes, der gar kein richtiger Held ist, sondern ein Ex-Tormann und noch Monteur, namens Josef Bloch, der im Glauben, von seiner Firma entlassen worden zu sein, in Wien, wo er lebt, ein Hotelzimmer nimmt und eine per Zufall kennengelernte Kinokassiererin erwuergt, woraufhin er sich in einem Gasthof einquartiert. Im Grunde haben wir es mit der Erprobung einer begrifflosen Wahrnehmung zu tun, die in die Praxis eines Existenzgefuehls uebergesprungen ist, das in gewisser Weise an den Fremden von Albert Camus erinnert. Handke reizt daran weniger die Lehre des Absurden als die Moeglichkeit eines Sehens, in die einer verstrickt ist, der, bei sich selbst seiend, Erleichterung empfindet im Gegensatz zwischen dem Illustriertenblatt, das er bei Seite legt, und den wechselnden Bildern, da draussen auf der Strasse.32 Diese Unfaehigkeit, etwas als zusammengehoerig zu begreifen, ist Pate teilnahmsloser Aufmerksamkeit eines Anti-Helden, dem alles, was er erlebt, als extra fuer ihn montiert erscheint und der sich selbst, wie Handke einmal darlegte, als einen erlebt, der alles selber produziert, angefangen von den Gegenstaenden bishin zu den Bildern, die er wahrnimmt.33 Es ist die unerwartete Aufloesung der Begriffe durch die Kraft poetischen Denkens, auf die der Schriftsteller hier spekuliert. Womoeglich ist dies seine diskrete Antwort auf die Frage, welche Sorte Literatur die Schizo-Wahrnehmung zeuge. Darauf, dass ihn Schizophrenie als Phaenomen interessierte, geht Handke in einem Interview von 1968 ein. Danach befragt, welches Buch er fuer das Buch des Jahres halte, nannte er Die beginnende Schizophrenie von K. Conrat, auf die Erkenntnis verweisend, wonach eine radikale Bewusstseinsaenderung beim Erwachsenen, also beim halbwegs erwachsenen Menschen, faktisch nur durch einen schizophrenen Schock moeglich sei.34 Aus den Farben gefallen Nun ist Handke ein Spezialist fuer Grenzfaelle. Bis heute thematisiert er den fatalen Sprachverlust und die damit einhergehende Kontakt- und Bezugslosigkeit, das ploetzliche Aus-der-Mitte-der-Welt-Geraten, und zwar so, als werde hier noch einmal der Suendenfall von Adam und Eva postum nacherlebt. Er erzaehlt davon, dass ihm sein Lebtag lang die Unnahbarkeit der Welt, ihre Unfassbarkeit und Unzugaenglichkeit, (sein) von ihr Ausgeschlossensein, am schmerzlichsten zugesetzt hat, und davon, dass ein Dazugehoeren, Teilhaben, Mitwirken so selten war, dass es ein jedes Mal, wenn es gelang, ein grosser Augenblick fuer ihn, zudem ueberlieferungswert35 wurde. Davon, dass er seit jeher von Laehmungen und von dem Verlust des Zusammenhangs bedroht gewesen ist, worauf die Erde sich fortbewegte, ohne dass er noch dabei war36, ist nicht nur in dem so leisen Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht die Rede. Nein, im Grunde genommen haben wir es hier mit einem seiner grossen Hauptthemen zu tun. Er hofft, dass sowohl die Kunst als auch die Literatur Abhilfe bei dem Grundproblem schaffen koennen, insofern ueber deren Werke ein Naehegefuehl zur Welt, die verlustig zu gehen droht, und zu Mensch und Dingen, an deren Seite wir leben, vermittelt wird. So wie Edward Hopper, immerhin als Maler in der Lage, die Leute in seinen Bildern mit einer traurigen Vergangenheit auszustatten und uns Betrachter so fuer sie zu erwaermen. Dagegen bekennt er, der Schreibende, in Das Gewicht der Welt, weder ein Gefuehl fuer die still und starr im CafE und an der Bar hockenden oder geknickt stehenden Nachmittagsfiguren aufbringen noch sie zeichnen zu koennen. Ja, er sieht nichts als Visagen37, also keine Gesichter, zu denen sich wie bei Hopper ein Verhaeltnis aufbauen liesse. Je problematischer der Kontakt zur Welt und ihren Insasssen und je rarer das Gefuehl, darin aufgehoben zu sein, desto dringlicher, sich malend oder schreibend auf das einst Geliebte so zu konzentrieren, dass wir uns damit auch ein Stueck an die Welt ketten, die uns nie allgegenwaertig und deren innerer Zusammenhalt uns immer nur zipfelhaft zugaenglich ist. Malerei und Literatur, wenn sie auch zwangslaeufig in ihren Bildproduktionen divergieren, eignen sich da als an einem Strang ziehende Medien liebender Erinnerung, und Handke eroeffnen sich immer neue Wege, das zum Ausdruck zu bringen, worum es ihm geht. Naemlich darum, die Glaubwuerdigkeit des Erzaehlens, das sich seines an die Moderne adressierten Trotzdems bewusst ist, unter Beweis zu stellen. Das Weltwerden jeweils der Welt, der friedfertigen, das Biegen, Sicherstrecken, Farbwerden, der Natur wie der Zivilisation, nicht nur als Ereignis sondern auch als Moment von Erkenntnis38 verbucht, wie es in Mein Jahr in der Niemandsbucht heisst, erwartet auch der Ich-Erzaehler der Lehre der Sainte-Victoire. Bei dessen Problem, Farben zu sehen, handelt es sich weder um eine Erbkrankheit noch um eine Farbblindheit oder eine besondere Form dieser Stoerung.39 Es ist verblueffend, wie sehr das Sehen von Farben dafuer ausschlaggebend ist, ob sich das Dasein als ein intaktes, auch harmonisches In-der-Welt-Sein, was sich als ein Dauerproblem entpuppt, bewaehrt oder nicht. Fuer Handke und Wim Wenders, zu dessem Film Der Himmel ueber Berlin der Autor das Drehbuch beisteuerte, ist das Sehen der Welt in Farbe ein Synonym fuer die Liebe zu ihr. Damit setzt ein Begehren ein, das sich in der Minute erfuellt, da der Engel beschliesst, als Mensch der Erde liebend nahe zu sein. UEberhaupt geht es dem Wortsucher darum, die Gefahr zu bannen, sich zu sehr von dem zu entfernen, was mit Augen, Haenden und Fuessen, also hautnah erfuehlt werden kann. Er will der Versuchung, immer Himmelsvergleiche bei der Entdeckung der Schoenheit zu denken, Herr werden. Deshalb beschliesst er, die Erde zu sehen, und deshalb will er von ihr, oder bloss von dem Fleck hier, sprechen und ihn nennen, mit seinen Farben.40 Je genauer in der Benennung, desto mehr Naehe, hier und jetzt, wird moeglich, wenn sie auch gefaehrdet ist. Es sind winzige Dramen, die darueber entscheiden, ob die Welt in Farbe gesehen wird oder ploetzlich zerfaellt. Mit seismographischem Gespuer verfolgt Handke dieses abrupte Aus-den-Farben-Fallen inmitten der unter Einfluss von CEzanne durchschrittenen Landschaft. Es ereignet sich beim Hoeren eines metallischen Klirrens, wie von einem Laufenden mit gezogener Waffe, dem ein Grollen, besser ein fernes Raunen im Luftraum und das hautnahe Empfinden eines Gebruells folgt. Dieses vernimmt er als den boesesten aller Laute, ja als Todes- und Kriegsschrei zugleich. Mit dem, was sich in der Phantasie kurz als Katze buckelte, ist das wenn auch nur kurzfristige Ende der Farben und Formen in der Landschaft eingelaeutet. Die Farbe loest sich auf in das destruktive Gebissweiss mit dem blaeulichen Fleischpurpur dahinter.41 Die unertraegliche Schwierigkeit und Fragilitaet des In-der Welt-Seins erscheint hier in einer am ehesten von den Malern, die die Geburt der Farbe aus dem Geist des Nichts vor Augen fuehren, nachvollziehbaren Dimension. Ja, dessen, was Farbe fuer das Leben bedeutet, werden wir erst im Augenblick ihres Verschwindens gewahr. Zuvor ist sie uns zu selbstverstaendlich, um eine Ahnung von ihrer betraechtlichen Rolle bei der Orientierung und Anverwandlung zu haben. Erst dadurch, dass das Unterscheiden und, noch mehr, das Benennen von Farben eben keiner Routine verfaellt, sondern seit je schwerfaellt, rueckt in Handkes Fall die Bedeutung des In-Farbe-Sehens ins Zentrum fortlaufender Reflexion. Dem Bewusstsein des Mangels entspringen die Naehe zur Malerei ebenso wie die vielen weiterfuehrenden Fragen wie die, wo denn die Farbe sei, die noch aus der Substanz des Dings selber kommt.42 Diese Frage stellt sich der Erzaehler bei der Betrachtung von CEzannes Stilleben. Der bestaendige Wunsch, bei den Farben zu sein, ist so stark, dass Handke sich mit Goethes Farbenlehre auseinandersetzt, der da von zwei Subjekten erzaehlt, in denen er sich zum Teil wiedererkennt. Zum Beispiel, so der Autor, verwechseln diese beiden Rosenfarb, Blau und Violett durchaus: nur durch kleine Schattierungen des Helleren, Dunkleren, Lebhafteren, Schwaecheren scheinen sich solche Farben fuer sie voneinander abzusondern. Der eine bemerkt bei Schwarz etwas Braeunliches und bei Grau etwas Roetliches. UEberhaupt empfinden die zwei die Abstufung von Hell und Dunkel sehr zart.- Sie sind wohl krank, aber Goethe betrachtet sie noch als Grenzfaelle. Freilich: Wenn man die Unterhaltung mit ihnen dem Zufall ueberlasse und sie ueber vorliegende Gegenstaende befrage, so gerate man in die groesste Verwirrung und fuerchte, wahnsinnig zu werden. Von Goethe belehrt, zeigt sich ihm ein Bild der Einheit zwischen (seiner) aeltesten Vergangenheit und der Gegenwart, und er erinnert die Eltern, Geschwister, und sogar noch die Grosseltern, wie sie sich ueber seine Farbenangaben zu umliegenden Dingen mokieren, als sei es ein Familienspiel, ihn die Farben raten zu lassen. Dabei sind freilich nicht die anderen die Verwirrten, sondern er.43 In seinem Umkreis ein Einzelfall, ist er jedoch keineswegs farbenblind, denn er sieht durchaus manchmal seine Farben, und zwar als die richtigen.44 Darauf, dass sich mit dem Ausdruck von Farben eine heitere, wenn nicht sogar humorvolle Stimmung verbindet, geht der Apologet des Sehens dort ein, wo er das Zu-viel-Alleinsein mit dem damit verknuepften Humorverlust und Farbschwund in Beziehung setzt. Ein Ausbleichen der Farbe ist da zu verzeichnen45, wo der Horror der Tristesse ueberwiegt, waehrend die Wiederholung des Erlebten durch die Kunst in Farbe ist und das Sich-Wiederholende in Farbe erscheint.46 Ja, Handke verfolgt das Ziel, die Woerter so einzeln wie CEzanne die Farben zu lieben, um sie wieder und wieder ohne Ausdrucksverlust setzen zu koennen.47 Was dem Maler die Farben, bedeuten dem Schriftsteller die Woerter, die, indem sie einzeln und nie von vornherein mit anderen zusammen gesetzt werden, immer neue Verbindungen eingehen koennen. Mark Rothkos Schwarz oder Fast-Schwarz Nun verheimlicht Handke, sobald er sich dem Spiel mit Farben nachsinnend ueberlaesst, nicht, welche Schwierigkeiten er mit einer gegenstandslosen Literatur und Malerei, also mit Sprache und Farbe ohne Gegenstand hat. Es gebe, so Handke, ohne Gegenstand bis auf eine einzige Ausnahme eben keine Erschuetterung, und die erfaehrt er vor dem Schwarz oder Fast-Schwarz von Mark Rothko, waehrend er Kandinskys Windungen dann seiner spaeteren Zeichnungen, wenn er sich auch dabei selbst in Frage stellt, als Ausdruck seines Leidens, nicht mehr zu den Dingen zurueck zu koennen?48, interpretiert. Es klingt so, als kreise eigentlich alles, was den Menschen antreibt um den Gegenstand und darum, ihn zur Anschauung zu bringen, und manchmal ist seine Entfernung davon so weit gediehen, dass er ihn aus den Augen verliert, und manchmal sogar fuer immer. Darin erblickt Handke zwar kein Anzeichen einer Krankheit, wohl aber ein bedrueckendes Leiden, dem er fuer sich entgegenwirkt, passiv mit Hilfe der Malerei und aktiv mit den Mitteln der Literatur. An seiner eigenen Kunstbetrachtung, deren Sinn fuer eine sich bewusst in Distanz zum Gegenstand definierende Malerei eher klein ist, kritisiert er an andrer Stelle unmissverstaendlich deren einseitige Fixiertheit auf den Gegenstand. Er korrigiert den eingeschraenkten Blick dadurch, dass er in seiner Niemandsbucht einen Maler mit Drang zum monochromen Schwarz einfuehrt. Doch zuvor bemerkt er in seiner Lehre der Sainte-Victoire, sich zu den Bildermalern eher undankbar zu verhalten; denn nicht selten haette ihm doch das vermeintliche Beiwerk (...) zumindest als Sehtafel gedient, und nicht weniges sei wiederkehrende Phantasie- und Lebensbild geworden. Freilich wuerden dabei Farben und Formen kaum fuer sich wahrgenommen, denn der besondere Gegenstand gehe vor und stehe im Mittelpunkt. Darauf, wie schwer es falle, den Gegenstand ins rechte Licht zu ruecken, geht Handke ein mit dem Hinweis auf die abschuessige Gratwanderung zwischen den vom Gegenstand befreiten Farben mit Formen, die ihm zu wenig, und den in ihrer Tagvertrautheit belassenen Gegenstaenden, die ihm zu viel sind.49 Im Dazwischen liegt der Weg der die Normalsachen mit dem Heiligenschein des Besonderen kroenenden Verwandlung, die beim Maler in Farbe und beim Schriftsteller verbal vollzogen wird. Nicht von ungefaehr wirft Handke in seinen Schriften mehr als einmal einen Blick auf das bedrohlische Schwarz. Sowohl in seiner Niemandsbucht, in der er einen in Paris sich niedergelassenen Katalanen zu einer Begegnung bei sich, am Rande der Metropole, wo der Surrealist Philippe Soupault einst lebte, anreisen laesst, worauf noch einzugehen sein wird, als auch in seinem juengsten Maerchen mit dem ungewoehnlich langen Titel In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Darin sieht der Apotheker ein Schwarz, und dann nichts mehr als dieses Schwarz, von dem er, soeben erwacht aus einem Traum, nicht weiss, ob es unversehens noch zum Traum gehoerte oder nicht. Dieses Schwarz ist weder ein Ablauf noch ein Film, sondern das Ende des Films, das Ende ueberhaupt jedes bin, ist, sind und seid. Ja, ein Schwarz, so raumverdraengend und zerstoererisch, dass es ihn auf der Stelle aus dem Schlaf reisst, ohne sich dann zu verfluechtigen. Von einem Alptraum ohne Erwachen aus dem Schwarz50 als einem Erleben der Schwellenlosigkeit wird der Apotheker da heimgesucht. Mit dem Erscheinen der Un-Farbe, die den Raum nichtet, laesst Handke ein Thema aus seinem Koenisgdrama Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit anklingen, in dem der Haeuptling einraeumt, aus ihm sei ein boeser Daemon, der grosse Raumschlinger (...) geworden, der Sonnenfinsterling, der Abschiesser des Himmelsblau.51 Da, wo Schwarz, nichts als Schwarz sich ausbreitet, waechst die Angst davor, dass der Raum uns bis zur Nichtexistenz entgleitet. Die Erfahrbarkeit der Ferne in Schwarz Je bedrohlicher das Schwarz, um so irritierender die Erfahrung mit der Unfarbe als die Farbe aller Farben einer Malerei, die der Aura der Ferne gewidmet ist, darauf Handke in seiner Niemandsbucht eingeht. Die Rede ist da von einem mit dem Ich-Erzaehler befreundeten Maler, der eine Schwaeche fuer Schwarz hat. Aber auch davon, dass ihm die zum Ursprungsbild, Beweggrund und Ausgangspunkt gewordene Ferne schon in der Kindheit, wenn er die Augen schloss, als die Schwaerze erschienen ist, und davon, dass sie ihm nun als Stoff, - wodurch nur? -, verlorengegangen ist. Und das, obschon er seit seiner Geburt den Blick auf den weitestmoeglichen Horizont gehabt hatte: von Tarragona Richtung Sonnenaufgang, hinaus auf das Mittelmeer, ueber dem, so hiess es, die Stadt liege als ein Balkon. Das Ferngefuehl davor (ist) fuer ihn aber eher eines der Beklommenheit, vor der Leere und vor der Hoehe, und die seltenen Schiffe oder Boote im Mittelgrund bedeuteten keine Rettung52, da es in dieser Grenzenlosigkeit nirgendshin geht. Soweit Handkes Text, der dieses ins uferlos Leere kippende Ferngefuehl von der Ferne bei geschlossenen Augen unterscheidet, deren Schwaerze deshalb nicht so schwarz wirke, weil sie von tausend kleinen Aufhellungen unterbrochen sei. Und zudem so durchdrungen, dass sich darin so etwas wie ein Hafen bildete, in dem sich der Maler verlaesslich verankert sieht und in dem ihm etwas vorgetanzt, vorgespielt, vormusiziert, vorerzaehlt, vorgezeichnet wird.53 Seltsam, dass er bei geschlossenen Augen, als Kind liegend beim Morgenaufwachen auf dem Bett, gleichzeitig von den fernen schwarzen Begebenheiten wegblicken konnte, und ihnen dann weiter zuschaute, bloss dass die Ferne jetzt von ihrem Ort hinter den geschlossenen Lidern in sein Inneres einrueckte und etwas Ganzes wurde, ein und alles. Nur ausgeschlafen, jenseits der Traumgrenze und ganz klar im Kopf ist Handkes Maler empfaenglich fuer diese besondere Art des ungegenstaendlichen Schwarzsehens54, das nichts mit dem Schwarz zu tun hat, das sich uns als entleerte Welt aufdraengt. Damit die Umsetzung der Fernerfahrung, die einem Zeitigen der anfang- und endlosen, stetigen wunderfeinen Bewegung in ihm glich, in Bilder gelingen kann, bedarf es einer dazu- und wegerfindenden Wiedergabe durch die Verwandlung, darin der Ausgangspunkt verschwindet oder aufgehoben wird55, so dass an deren Ende etwas Neues dasteht und eine Anwesenheit verstaerkt worden ist. Empfindungslos gegenueber gleichwelchen Fernblau, oder -rot, oder -gelb, kann dem Maler der Ort seiner speziellen Ferne, der irgendwo davor liegt, aus einem Stueck Erde entgegenschimmern, vermischt mit Steinen und Holz, vor seinen Zehenspitzen.56 Am verlaesslichsten laesst sich diese gewuenschte Ferne in einem ganz bestimmten Blickbereich aufspueren, der in einem gewissen Abstand zum Auge, und doch eben lang vor dem, was ueblicherweise Ferne heisst beginnt. Geradezu zum Abzirkeln und UEbertragen auf eine Bildflaeche, zeichnet sich die Ferne ab am Ende eines Gartens, vor der Mauer und den Bueschen dort, am Boden, im Gras, (...) auf einem Waldteich kurz vor dem Baumriegel des Gegenufers, als eine beschraenkte Stelle dort auf dem Wasser, fast nur ein Zipfel. Dabei erweist sich eine uebliche Wiese als bereits zu weitraeumig und ein ueblicher Garten als schon zu klein fuer solch eine Ferneinheit. Deren Ausmass will per Begrenzung und Rahmung gut austariert sein, damit es zu einem Fernesehen kommt.57 Merkwuerdig daran, so der Erzaehler, dass solche Ferne wie ohne Bewegung, jenseits einer auffaelligen Bewegung, und immer nur dann stattfindet, wenn der ferne Graszipfel, die ferne Waldteichkueste, das ferne Baumkronenflechtmuster fein still bleiben. An seinen dieses Ruhen der Welt in sich aufnehmenden Bildern, die alle gleich mit La vega negra (Die schwarze Aue) betitelt sind, erfreuen sich die Betrachter trotz des Finsteren auf ihnen. Und das nicht zuletzt deshalb, weil mit den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte solcherart Ferne und Fernbilder mehr und mehr bestimmend geworden sind.58 Trotz seines Misstrauens gegenueber des Malers Spruch vom Schwarz als, im Zusammenspiel mit dem Licht, der vielfaeltigsten der Farben, nimmt der Ich-Erzaehler des Buches schliesslich denn doch das Schwarz, lang nach Mitternacht, lang auch bis zum ersten Vogellaut, kein Mond, kein Stern, wahr als die Farbe einer Ersttags-Frucht.59 Eine schoene Bescherung, fuer den Erzaehler so ueberraschend, dass er seine Ansichten zu Schwarz revidiert, und zwar in der Praxis des Sehens. Was Handke hier mit ungeheuer sprachlicher Praezision und kaum nachstellbarer Spitzfindigkeit glueckt, ist die Darlegung einer inneren Vorstellung von schwarzen Bildern, an deren Ergiebigkeit und Fuelle und assoziative Weite kein Kunsthistoriker herankommt. Denn der Fluss stroemenden Sehens transportiert mit allem, das er mitfuehrt, ein Sinnen ueber Schwarz. Erzaehlt wird in einem epischen Bogen, wie es dazu kommt, dass jemand so sieht wie sein Maler: eminent gescheit und gar nicht nach Schulbuch, sondern aus eigener Anschauung. Handkes Auge, ausserordentlich differenziert inmitten der Prosa, verzeichnet genau die Genese einer Sehweise und fuellt deren Geschichte erklaerend auf mit Beispielen, die Abstraktes erdenschwer machen. Ja, Handke ist zu gut ueber die Problematik der UEbersetzung von Bild in Wort aufgeklaert, um daran zu scheitern. In Einige Anmerkungen zur Arbeit von Jan Voss sagt er gleich anfangs, es sei beim Schreiben ueber Malerei vielleicht zu sehr gesuendigt worden, indem die Sprache versucht war, zu beschreiben, was nicht beschreibbar ist. Die Gefahr besteht darin, dass sich das Schreiben der Bilder bemaechtigt, anstatt sie frei zu lassen. So sind auch fast immer die Maler selber, wenn sie von ihrer Arbeit reden, viel zugaenglicher als ich, der dritte. Sie deuten oft, in der Form eines Fragments den Weg des Bildes an, verschuetten ihn nicht mit ihren Worten, sie umreissen ihn. Und das, so scheint mir, stimmt ueberein mit ihrer Kunst; die Malerei ist mir vor allem die Kunst des Umrisses.60 Genau das ist es, was er beherzigt, und der Grund, weshalb er erst gar nicht versucht, ein Bild in Sprache abzudruecken, als waere es so ersetzbar. Statt dessen beachtet er die Dialektik der Schwelle, wonach der Verlust, der sich zwangslaeufig ergibt, mit einem Gewinn ausgeglichen wird, der hier wie eine traumhafte Odyssee im Zug der Woerter wirkt. Sie befoerdern, was im Moment des Lesens abwesend ist. Die Brueche, die es zwischen beiden Bereichen, dem der Literatur und dem der Bilder, gibt, werden nicht weggeschoben, sondern zeigen sich. So, wie Handke mit Sprache der Schwarz tragenden Malerei begegnet, fuegt das Sprechen darueber den Bildern eine andere Seite hinzu. Es adelt sie auf einer verbalen Ebene, die nichts Tautologisches hat, sondern ein Begehren des Sehens ausloest. Nun was aber ist der Gewinn in unserem Fall? Dass die Bilder den Schein des Besonderen erhalten und in einem anderen Medium ueberliefert werden als etwas dauerhaft UEberlieferungswertes und der Tagesaktualitaet Entzogenes. Dass das Schwarz uns nicht als Schwarz davonlaeuft, sondern sich mit der Aura seiner Geschichte auflaedt, aber abstrahiert von dem Ausgangspunkt und weg von blosser Wiedergabe. Hin zu einem Mehr, das sich darin aeussert, dass wir etwas von der Sogkraft des Schwarz erfahren, bezogen auf seinen ganzen Umkreis, der erzaehlt, statt kleinanalysiert wird. Gehoben und gerettet ins Epische, wo sie unabhaengig von dem ist, wonach der Markt schreit, erhaelt die Malerei durch die Sprache den Klang einer Zeitenferne, dessen Echo bis ins Heute schallt. Diese Form subtiler Tauschwertumgehung gibt der Kunst einen Halt jenseits der Moden, die den Markt in Bewegung haelt und die Kunst vergessen laesst, die nicht so recht ins Schema das Brandaktuellen passt. Die Meta-Ebene der Erzaehlung ist insofern anders als die kunsthistorische, als uns in epischer Um-Schreibung das unentwegte Hin und Her zwischen einer an Konkreta sich reibenden Wahrnehmung und deren Verwandlung in eine Gegenstandslosigkeit, in der konkrete Erfahrungen sich zur Entbergung verbergen, vor unserem inneren Auge gefuehrt wird. Ja, eins ist gewiss: Die Kunstgeschichte, die Handke vorschwebt, ist die so bewusst urteilsscheue wie kunstmarktferne und namenlose Geschichte eines Erzaehlers mit dem rechten Abstand, einem anderen Blickwinkel und einer Absichtslosigkeit im Hinblick auf Wertung. Das Schwellen-Sehen des Malers Was den Wortfinder von dem Farbsetzer unterscheidet, ist dessen unueberbrueckbare Ferne zur Farbe, die der Maler uns sehen laesst. Darum begibt sich Handke wieder und wieder in die Naehe von Malern und legt Kunde von ihnen ab auf zoegerliche Weise, so auch in Der Chinese des Schmerzes. Ein Buch, mit dem er einerseits die Vorstellung einloest, ein Schriftsteller haette vor allem die eine Pflicht, eine Landschaft zu verewigen, und in dem er andererseits einen Priester, einen juengeren Politiker, einen Maler und den Hausherrn, in dessen fast leeren Bibliothek in Salzburg sich die Vier zum Kartenspiel zusammenfinden, ein Gespraech fuehren laesst ueber die Schwelle als Quelle, Kraftort und besonderen Raum, die Saum-Seligkeit und das Schwellenbewusstsein, von dem Walter Benjamin einst sagte, wir spuerten es, wenn ueberhaupt, nur noch beim Erwachen. Wieder konfrontiert uns Handke mit einigen so ungerahmten wie unverglasten Bildern an der von Buechern freien Fensterwand, auf denen ein Rostbraun, ein Salpetergrau, ein Schimmelsilber, ein Ziegelrot (und) ein Harzgelb so aufgetragen sind, dass sie wie Hervorbringungen der Mauer erscheinen. Auffaellig daran, wie die Farben mit schillernden Namen aufgerufen werden. Anders als sonst Gemaelde, so heisst es weiter, zogen sie den Blick in keinen Raum, sondern gaben ihm sofort die Farben zurueck. Diese sollten, so sagte der Maler, die Leuchtkraft der Farben an einem Glasfenster zeigen: das ist mein Ideal. Versiert darauf, nur die Farben zu sehen, haelt der Maler bei der Entdeckung eines bestimmten Tons inne, da dieser ihn, ehe er weiter Karten spielt, jeweils zu einem ausfuehrlichen Exkurs veranlasst. Das Weinrot und Kobaltblau eines Teppichs scheint er sich dabei als eine Art Kriegsbemalung in das Gesicht zu streichen.61 Ja, ueberhaupt tritt der Maler als ein so ganz und gar in Farben Badender auf, als sei das Farbensehen das von uns in seiner Fixiertheit zu Lernende. Deshalb wird eine Begegnung, unten an der Muendung zweier Wege, inszeniert zwischen dem Erzaehler und dem gerade in die Betrachtung eines ganz von den dicht verzahnten Blueten einer Kriechpflanze ausgefuellten Felsspalts versunkenen Maler. Angesichts des Blaus eines sehr alten Gletschers kommt dem Ich-Erzaehler ein bei Ausgrabungen gelaeufiger Ausdruck in den Sinn, der Ihr muesst erst die Raender finden lautete, waehrend der Maler ihm zuruft: Wie lustig sind die Farben in der Bewegung! Und: UEberall gibt es Farben! Und : Die Farben sollen handeln!62 Nun, was ist mit dem letzten Satz gemeint? Zum einen erweist sich die Bewegung der Farben als ein Tun, durch das sie sich selbst ins Spiel bringen. Zum anderen steckt darin die Hoffnung, die Farben entschieden darueber, wie was zusammengehoert. Es kommt einem so vor, als sehne sich der Maler danach, dass dem Sehen ein Handeln entspringe, damit die Welt gerechter werde, und als stelle er sich fuer uns die Frage, was wohl anders, wenn Sehen ein Zeugen waere. Deutlicher wird die Einsicht in das Wesen der Farben, die ihre Schwellen haben, beim Hinuntersteigen von der sogenannten Festspieltreppe. Auf deren letzten Stapfe verweilend, zeigt der Maler mit der einen Hand auf die Felswand in seinem Ruecken und mit der andern auf das Festspielmassiv vor sich, die Grenze beklagend, die ihn stocken laesst. Probleme bereiten ihm die Farben, die nicht mehr gelten, weil der UEbergang zwischen der Fassade des Festspielbaus vor ihm und der Felswand hinter ihm geleugnet wird. Und zwar einfach dadurch, dass der Berg aus in den Kalk eingebundenen Kiesel fahrlaessigerweise dem Aussehen nach mit Beton verwechselt wird, weshalb der daran angeschlossene Bau von den fuer den Bau Zustaendigen seinem unverputzten Beton ueberlassen wurde, damit Berg und Haus zu einer Einheit verschmelzen. Doch erweist sich diese in Handkes Augen als falsche, da widersinnige. Um die Angleichung zu vervollkommnen, sei, so der Maler, in die Betonfassade zudem ein kuenstliches Muster von Schruenden eingemeisselt worden. Gegen diesen Grenzschwindel, der auf ungenauem Sehen von Farben und Formen beruht, und dagegen, dass Stoffe wie Felsenschotter und Gussbeton, die, obwohl nicht zueinander gehoerend, auf Teufel-komm-raus scheinbar fugenlos zusammengezwungen werden, und gegen einen Stoff wie Beton, in dessen kuenstlichen Schruenden noch nie auch nur ein einziger Halm gegruent hat und der folglich keine Empfindung von Zeit bei uns ausloest, richtet sich die Wut des Malers. Die Unvergleichbarkeit der Stoffe bewahrheitet sich beim Aufscheinen der Farben des Berges, besonders in der Naesse. Denn dann wird, so der Lehrer der Farbe, aus dem scheinbaren Grau Braun, Gelb und Rot, auch ein Eischalenweiss, Basaltschwarz und Flaschengruen, wie geschotterte Wege bei beginnendem Regen, waehrend das ihm vorgetuermte Machwerk ewig in seiner Nicht-Farbe flimmert: dem Fahl. Ja, er radikalisiert seine Ansichten noch, indem er das Schoen-in-Farbe-Erscheinen des Felsens als ein Ding gegen die abstossende Wirkung des mit ihm verwandt tuenden Produkts als ein farbloses Unding und Totes ausspielt. Es ist, als wolle er uns den Schrecken einjagen, den die Schwellenlosigkeit verursacht. Darum beschimpft er den fehlenden Augensinn der Architekten als Frevel.63 Wie anders Farben in der Natur erlebt werden, dazu eine Notiz aus Das Gewicht der Welt, wo es heisst: Langsam, waehrend es Tag wird, entstehen die Farben am Blumenstrauss, zuallererst das Gelb.64 Der Bruch, den Handke kenntlich macht, zwischen einer Natur, deren Farben ihre Gezeiten haben, und der Zivilisation, der das Schwellenbewusstsein nichts mehr sagt, wird auf einen kulturpessimistischen Punkt gebracht, lesbar als eigenwillige Fortsetzung der Schwellenkunde A la Walter Benjamin und als vom Auge mit Fuehrungskompetenz gesteuerte Kritik an der Gesellschaft mit ihrem blinden Schwellenumgang. Der Exkurs ueber den Farbsinn bei Handke gibt eine Vorstellung von dem Primat des Sehens und den sich daraus ergebenden Konsequenzen fuer das Dasein. Kultiviert wird da der verschaerfte Blick auf die Schoenheit der Dinge durch die Farben. Wenn Handkes Maler fordert, die Farben sollten handeln, so aus der UEberzeugung, dass eine organisch-organisierende Phantasie sich an dem An-sich-Sein der Farben zu schulen habe. Als die Bilder anfingen zu helfen Moeglicherweise ist Handkes Schreiben ein Prozess zoegerlicher Annaeherung ans Bild. Der beginnt in der Kindheit, die er in einer kleinbaeuerlichen Umgebung verbrachte, wo es Bilder fast nur in der Pfarrkirche oder an den Bildstoecken gab, weshalb sie ihm wohl von vornherein nur als blosses Zubehoer erschienen65, und setzt sich dort fort, wo Bilder weiterhelfen und ihn als Betrachter aufrichten. In seinem Text ueber Peter Pongratz erinnert sich Handke, mit welcher Gier er als Kind, das in einem gemaelde- und buecherlosen Haus lebte, in einem Arzthaushalt das Bild mit dem Tod anstarrte, der eine nackte Frau umklammert, und wie (er) stundenlang in demselben Haushalt, ohne einmal aufzuschauen, in die Comic-Hefte des Arztkindes vertieft war.66 Spaeter dann, als ihm das Sich-Eintraeumen-in-die-Dinge eine Maxime beim Schreiben geworden war, stellte er sich die zu erfassenden Gegenstaende vor, als ob er sie im Traum saehe, in der UEberzeugung, dass sie dort erst in ihrem Wesen erscheinen. Sie bildeten dann um den Schreibenden einen Hain, aus dem er freilich oft nur mit Not in ein Leben zurueckfand. Zwar sah er immer wieder ein Wesen der Dinge, aber das liess sich nicht weitergeben; und indem er es zum Trotz festhalten wollte, wurde er selber sich ungewiss. Deshalb keine Passion fuer jene Landschaften, die den entvoelkerten, schweigendschoenen Drohbildern des Halbschlafs entsprechen, dazu er de Chiricos leere metaphysischen Plaetze, Max Ernsts veroedete mondueberstrahlenden Dschungelstaedte, deren jede einzeln Die ganze Stadt heisst, sowie Magrittes Reich der Lichter, jenes wiederholte Haus unter Laubbaeumen67, rechnet. Seine Ablehnung magischer Bilder begruendet er damit, dass diese in ihrem Innern (...) ein gar nicht friedliches Nichts seien. Dagegen opponiert er mit seinem Wunsch nach einem Sein bei den Tagesfarben68, der sogar vor Hoppers weniger traumdrohenden als verlassen-wirklichen Landschaften in Erfuellung geht, da sie sich an Ort und Stelle, im vernuenftigen Tageslicht wiederfinden lassen; und so begibt er sich nach Cape Cod. Dort, vor Ort, den Bildern des Malers nachgehend, fuehlt er sich, ueberall auf der Landzunge, erstmals im Reich eines Kuenstlers stehen. Vom Auge Hoppers so ueberwaeltigt, dass er sich seinem Blick anpasst, tritt er so sehr in den Kosmos des Malers ein, dass er glaubt, er koenne die Kurven, Hebungen und Senkungen der Duenenstrasse jetzt nachziehen. Ja, sein Gedaechtnis ordnet alles, was das Auge wie ein Magnet an sich saugt, sogar die Einzelheiten, die oft ganz andere sind als die von Edward Hopper gemalten, rechts und links wie auf einer Leinwand. Im Grunde verraet Handke hier, wie sehr er in der Malerei wohnt. Er kann gar nicht anders wie, eine einmal die Bleibe eines Malers gewesene Landschaft durch dessen Brille wahrzunehmen. Eine Mimesis ans Maler-Auge ist hier zu entdecken. Er, der die Landschaft erblickt, wird vom Blick des Malers wie von einem Blitz getroffen, geradezu unvermeidbar. Die UEbersetzung des Gesichteten in Gemaelde A la Hopper verwandelt sich schliesslich in eine Schriftform.69 Wenn Handke sich innerhalb der Malerei fuer in Tagfarben leuchtende Bildern ausspricht, so in der Literatur fuer im Tagtraum ihn anspringende Woerter.70 Und das vor allem deshalb, weil er aus guten Grund in eine Kunst vernarrt ist, die weder Angst verbreitet noch einen um die Personen der Handlung (oder des Bildes) bangen laesst.71 Deshalb ist ihm der als Maler nie eine Katastrophe schildernde und als Zeichner hoechstens einen Windbruch darstellende Stifter so lieb72, und Ruisdael willkommen, bei dem schon die kleinste, durch einen sich aus dem Wasser hebenden Schwan hervorgerufene Dramatik in der alles beherrschenden Stille wie Humor wirkt.73 Als die richtigen Bilder jetzt erscheinen ihm denn auch Courbets tagtaeglichen Genreszenen. So sieht er dessen Gestalten, die nur Korn sieben, an einem Grab stehen, eine Tote einkleiden oder eben in der Daemmerung vom Markt heimwaerts ziehen, als Angehoerige einer friedlichen Prozession, der sich auch jene alte Frau anschliesst, die der Autor an einem warmen Sonnentag mit ihrer Einkaufstasche langsam in einer Westberliner Seitenstrasse spazieren gehen sah.74 Die imaginaere Prozession verbindet die Vergangenheit des Malers mit der Gegenwart des Schriftstellers. So etwas wie Dauer scheint da als andere Moeglichkeit auf. Grosse Sympathie aber auch fuer Rembrandt, von dessen Augen der Wind der Welt zu ihm herueber weht75 und dessen Selbstportraets er wegen eines zusaetzlichen Ins-Licht-Ruecken des Gegenstandes oder auch nur wegen eines kleinen Drehs bewundert, wodurch die Gesichter die Zuege einer geheimnisvollen unbekannten Rasse76 annehmen. Hinter diesem Hunger nach Bildern, die Menschen und Dinge bejahen, steckt kein Wille zur kitschigen Verklaerung der Welt, die so heil nicht ist, sondern durchaus ein Blick fuer das Gute wie fuer das Boese. Deshalb vermisst er an engelsgleichen und madonnenhaften Gesichtern mindestens einen schurkenhaften Zug, der zum Menschsein dazugehoert, und bei vielen die rembrandtsche (mehr oder weniger) traurige Selbstironie.77 Nein, Handke denkt nie an ein Paradies. Jedesmal, wenn er ein Gemaelde gesehen oder ein paar Takte gehoert habe, sagt er im Gespraech mit Herbert Gamper, sei erreicht worden, dass die Welt nicht total zugrunde geht. Die Katastrophe werde durch Kunst allenfalls aufgehalten. Alle Kultur sei immer nur dazu da, dass man wenigstens auf dem mindest ertraeglichen Status von Menschen bleibt, nichts anderes. (...) Alle Kunstwerke haben nur geschafft, dass es nicht total bestialisch wird, nichts anderes. Dass die grosse Bestialitaet, die in uns allen ist, aufgehalten wird, dass ein Riss im Bestiarium verstopft wird. UEberall bricht es im naechsten Moment wieder auf und wird wieder verstopft. Das ist, so Handke, Kultur, nichts anderes. Nie wird etwas anderes sein, nie. Und das ist eben gross genug.78 Kein grenzenloser Optimist, sondern einer, der aufgrund seiner Erfahrung relativiert. Schon mehrfach haben wir erfahren, dass die Kunst fuer Handke nicht nur dazu da ist, angeschaut zu werden. Er beansprucht sie auch dort, wo sie ihm hilft, die am Bahnhof erlebte Schoenheit der Menschen, der Menschheit, des Menschengeschlechts (...) so tief, so ruhig, so farbig, so machtvoll darzustellen wie Tizian.79 Offenbar misst er die Qualitaet von Literatur an den Massstaeben grosser Kunst. Alles in allem begreift er die Orte, an denen Kunst wirkt, als besondere. Darum erlebt Handkes Protagonist Sorger, im Grunde ein Vorlaeufer des Ich-Erzaehlers aus der Lehre der Sainte-Victoire, auf seiner in New York endenden Langsamen Heimkehr, so der Titel des Romans, im Metropolitan Museum sein letztes Bild von dem anderen Kontinent. Dort, gerade noch von den Werken bestaerkt, vor denen er sich (...) allmaehlich aufgerichtet hatte, hat er, kurz vor seiner Rueckkehr nach Europa, von der monumentalen steinernen Innentreppe des Museums aus, die von den unten Kopf an Kopf draengenden Leuten schwaerzliche Halle vor sich. Zudem bewundert er die gesamte Tiefe der auf das am Parksaum gelegene Gebaeude zulaufenden 82. Strasse mit dem ganz an ihrem Ende schimmernden Graublau des die Insel Manhattan begrenzenden schmalen Meeresarms, auch East River genannt.80 Draussen, vor dem Eingang, neben einer Menge der sich hier und da Ausruhenden, stellt er sich vor, die Geschichte der Menschheit wuerde bald vollendet sein, und zwar harmonisch und ohne Schrecken. Es ist kein Zufall, dass dieses Beduerfnis nach Erloesung ihn auf den Treppen des gerade seine Pforten schliessenden Kunsttempels ereilt, aus dem gerade die letzten Besucher stroemen. Der Abschied vom Museum als ein Friedensschauplatz ist schmerzlich und insofern schoen zugleich, als sich dabei die Erde verklaerte.81 Sorger, der durch die langsame Reise gelernt hat, den Raum langsam zu durchdringen, bekommt noch einen letzten Schub in Richtung erfuelltes Sehen durch das Erlebnis der Freschheit der grossen Kuenstler.82 Handkes CEzanne-Komplex Hier, an dieser Stelle, passt Handkes schoene Frage, ob nicht dort, wo ein grosser Kuenstler gearbeitet habe, der Mittelpunkt der Welt eher als an Orten wie Delphi sei.83 Zu einem dieser fast durch das Tun eines Malers geheiligten Orte hat es ihn in seinem Hunger nach Wiederholung, wie es in seiner Epopoee vom Verschwinden der Wege heisst, gleich mehrfach hingezogen. Die Rede ist von jener Montagne Sainte-Victoire, die, weil sie einmal der geliebte Gegenstand CEzannes gewesen war, in Handkes Augen schon fuer sich etwas Besonderes darstellt.84 Und nicht nur das: sie geistert, vermittelt durch die grossartigen Gemaelde, so sehr in der Phantasie, dass sie eines Tages, jedoch noch vor dem traurig-verheerenden Waldbrand, durch den der von CEzanne so oft gemalte Berg bis auf den letzten Farbschleier ausgezogen, entbaumt und restlos entzaubert wurde85, den Ruck gibt, die Montagne von der Naehe zu sehen. Auf ein Sehabenteuer laesst er sich ein, das das Tor seiner auf mehreren Ebenen angesiedelten Erzaehlung aufstoesst. Da ist zum einen der erhabene Berg selbst, der den Erzaehler wie noch nie etwas anderes in seinem Leben lockt, und zweitens ist da die Beschaeftigung mit der Malerei von CEzanne, fuer ihn nicht nur ein auf die Zeit jedes Dings, mit der Kraft der Verzweiflung wartender Lehrer, der ihn wie schon Hopper zuvor von blossen Meinungen zu den Bildern abbrachte86, sondern ein Menschheitslehrer der Jetztzeit87, und drittens ist da die Wanderung, auf der er nicht nur auf den Wegen den Motiven des Malers nachgeht, sondern auch den fruehen Sonnenuntergang der Dezembermitte erlebt; und schliesslich ist da der Schriftsteller, der offen und fuer uns und so, als ginge es um nichts, darueber nachsinnt, wie er das alles zu einer Erzaehlung verknuepft. Darauf bezogen, was er an Erfahrungen mit CEzanne wiedergeben will, begibt er sich weit zurueck in die Wildnis und sieht sich allein bei Dingen wie einem Flugzeug oder einem Fernseher, die sich mit der Welt des Malers als Vorstellung nicht in Einklang bringen lassen, dem Scheitern nah. Deshalb dann sein Einfall, die Handlung mit den jungen Maler und Schriftsteller Maurice Denis, der CEzanne in dessen Landschaft tatsaechlich einmal besucht hatte, als Helden in die Jahrhundertwende zurueckzudatieren; und dagegen doch die Wahrnehmung, ein Deutschsprachiger sollte die Hauptperson sein; und dazu als erstes die Phantasie, ein angehender junger Maler im OEsterreich der Zwischenkriegszeit, im Jahr 1938, kurz nach der Annexion des Landes durch die Deutschen, - von dem er das Tiefenbild eines spaeter im Osten gefallenen, auf einem Auge erblindeten Bruders seiner Mutter entwirft, dessen Briefe aus dem Krieg er als Kind mehrmals gelesen hatte -, koennte sich auf den Weg in die Provence machen; und am Ende dann doch Handkes Hoffnung auf ein Ich, das erzaehlt. Seine in den Text eingeschobenen, dem Schreiben vorangehenden Reflexionen ueber die Erzaehlung, die er gleichzeitig erzaehlt, beziehen sich auf die Frage, wie er die Geschichte anlegen koennte. Diese erweist sich dann doch als eine mit Fiktivem angereicherte Konstruktion, parallel zu CEzanne. Klar, dass er sich mit dessen ehernem Satz vom Realisieren anfreunden kann, wozu im einzelnen zwar immer wieder die Erfindung gehoert, aber nicht als das alles Bestimmende.88 Schon hieraus geht hervor, worin Handke sich mit CEzanne trifft. Primaer ist es die Kunst des Realisierens, die er auf sein Schreiben uebertraegt, wozu nicht eine auf das Ding abgerichtete Genauigkeit, sondern die Erinnerung an das eigene, im Schreiben mit seinem Gegenstand eh wieder verbindende und diesen wiederbringende Gefuehl gehoert.89 Dem auf der Spur, was es heisst, die Empfindung durch den Gegenstand zu realisieren, zieht Handke, der seine Jugend in einem Internat fuer Priesterzoeglinge verbrachte, einen Vergleich mit dem Ritual der heiligen Messe90 als einer, der mutmasst, nur mit einem Glauben koennten die Dinge auch auf die Dauer wirklich bleiben. Obgleich ohne einen Glauben, dem er sich verpflichtet fuehlt, hat sich ihm von ganz frueh an ein Bild der Bilder eingepraegt, naemlich das eines Kelches mit den geweihten Hostien in dem wie eine Drehtuer zu oeffnenden und zu schliessenden vergoldeten Tabernakel einer Pfarrkirche. Dieses sogenannte Allerheiligste war ihm seinerzeit das Allerwirklichste, welches auch seinen so oft, wie die durch die Worte der Wandlung sozusagen Gottes Leib gewordenen Brotpartikel mitsamt ihrem Kelch im Tabernakel geborgen wurden, wiederkehrenden Augenblick hatte. Analog dazu sieht er cEzannes Verwirklichungen mit dem einzigen Unterschied, dass er sich davor aufrichtet, statt niederzuknien. Beides, sowohl das religioese Ritual als auch CEzannes Realisation, verkoerpert so etwas wie die Verwandlung und Bergung der Dinge in Gefahr.91 In CEzannes Fall beinhaltet dies die vor dem Motiv wiederholte UEberfuehrung der Dinge in Malerei, die so der Gefahr des Verschwindens entkommen. Was Handke mit dem Maler teilt, ist eng verflochten mit dem Prinzip Verwirklichung, durch welches alles, was die Wahrnehmungsorgane einem zufuehren, erst ihre Wirklichkeitsform erlangen. Mehr noch, in CEzannes Arbeiten aus den letzten Jahrzehnten seines Lebens erkennt Handke insofern deutliche Fortschritte in der Verwirklichung des jeweiligen Gegenstandes, als die Farben und Formen diesen bereits feiern.92 Ziel der Verwirklichung ist demnach die Feier des nun in seinen Eigenfarben wirkenden Gegenstandes. Der Kampf, den er mit Hilfe der Kunst zu bestehen hofft, fuehrt er nicht nur gegen die Fluechtigkeit eines Sehens, sondern auch aus Angst vor dem Entgleiten der Welt in die Leere der Weltlosigkeit. Nun was steckt dahinter? Es kommt ihm darauf an, dem Schicksal des Episodischen zu entweichen, davon ausgehend, nur das verlaesslich Wiederkehrende erscheine als etwas Wirkliches. Seine Klage, wonach die Alltaeglichkeit boese geworden ist, da es nur die episodisch, traurige Schoenheit um die gemachten Dinge gibt, erhebt er vor dem Hintergrund, dass sich Dinge nicht mehr durch die Zeit hindurch bewaehren. Damit gehen einher der Verlust des durch die Zeit bestimmten Stoffes, aus dem Erzaehlungen werden, und die Frage, welches jetzige Ding ueberhaupt noch ein Augenstoff sein koenne. Alles in allem dumpfe Erfahrungen, halbwegs geteilt mit dem Maler des neunzehnten Jahrhunderts, der schon aus L`Estaque schrieb, in einigen hundert Jahren werde alles verflacht sein. Hinzufuegend, dass das wenige, das bleibe, dem Herzen und dem Blick doch noch recht teuer sei, und einige Jahre spaeter verschaerfend, es stehe schlecht. Man muesse sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet.93 Dem Pessimismus widersprechend, der das Ende des Sehens prognostiziert, haelt Handke, wenn auch mit einem Fragezeichen versehen, entgegen, was er im Jeu de Paume gespuert hat. Naemlich, dass CEzannes gewaltiger, in der Menschheitsgeschichte nur einmal moeglicher Ding-Bild-Schrift-Strich-Tanz unsereinem machtvoll und dauernd das Reich der Welt offenhaelt.94 Wir haben es nicht mit einer endgueltigen Fixierung des Gegenstandes zu tun, sondern mit einem Belassen des Ins-Bild-UEbersetzten im Umrisshaften, wodurch das Gesehene eben nicht muendlich, sondern schriftlich ueberliefert wird. Fragen wir nach, was denn das fuer eine von Handke in die Kunst gelegte Hoffnung sei, so stossen wir auf ein durch die Wider-aller-Erwartung-Wirkung von Kunst gerettetes Menschenbild, das besagt, das gute Ich finde doch noch vor den Kiefern und Felsen als das Bild der Bilder95 zu sich selbst. Woher nun nimmt Handke den Optimismus der Versoehnung? Aus dem Gespuer, der Empfindung und der Erfahrung, die ihm am naechsten ist, und der Einsicht, CEzannes Felsen und Baeume seien mehr als blosse Schriftzeichen und mehr als reine Formen ohne Erdenspur, eben Beschwoerungen, gleich den fruehen Hoehlenzeichnungen. Eine Vorstellung, die sich, wie bereits angedeutet, in der Niemandsbucht dahin ausdehnt, eine neue Malerei zu ertraeumen, die ihren Platz nicht mehr in Museen, sondern draussen in der Natur hat. Die letzten Dinge Das umwerfend Besondere an Handkes Erzaehlung ist seine Art subtiler, auf keine Logik Ruecksicht nehmender Verknuepfung von verschiedenen Ebenen. Hier gehen Hand in Hand das Sehen der Bilder in Museen, das Dazu-Phantasieren auf der Basis von subjektiver Erfahrung und Empfindung, die sich durch die Schrift verobjektiviert, die Schilderung der Wege des Malers, denen er nachwandert, der Blick auf Biographisches plus die Selbstreflexion des Schriftstellers darueber, was er, wenn er erzaehlt, wie und warum tut. So befinden wir uns auf einmal im Jeu de Paume, durch dessen Fenster wir auf die Place de la Concorde, fuer CEzanne der einzige Platz, schauen. Dort erscheinen dem Erzaehler die Birnen, Pfirsiche, AEpfel und Zwiebeln, die Vasen, Schalen und Flaschen, auch durch die leichten Verrueckungen und schiefen Ebenen, wie Maerchendinge, die gleich zu leben anfangen werden, und doch ist es sichtlich der Moment vor dem Erdbeben: als seien diese Dinge die letzten. Waehrend ihm die Dinge wie am Ende ihrer Zeit angelangt erscheinen, kommt es ihm so vor, als schauten die portraetierten Drei ohne Eigennamen, darunter der Maler, seine Frau und der Knabe mit roter Weste, die er einmal in Zuerich beim Besuch einer Ausstellung zu Gesicht bekommen hatte, aus dem Fenster eines stehenden Zugs, der durch die Zeiten faehrt. Schon lange unterwegs, ist das Ende ihrer Fahrt noch unabsehbar. Nur das Kind scheint muede, den Kopf in die Hand gestuetzt; die beiden Erwachsenen sind aufgerichtet, so ausdruckslos wie geistesgegenwaertig. In der Sonntagsphantasie des Schriftstellers verknuepfen sich die in Zuerich gesehenen Portraets mit den in Paris betrachteten Stilleben derart, dass er sich ausmalt, wie der Zug mit den drei Leuten aus Zuerich an der Fruechtenstrasse in Paris anhaelt. Klar, dass dies mit CEzanne nichts, dafuer um so mehr mit Handkes Methode poetologischer Verknuepfung zu tun hat. Er hat seinen Spass daran, Gesehenes so zu transzendieren, dass in seiner Vorstellung zusammenkommt, was nicht nur raeumlich, sondern auch thematisch auseinanderliegt. Das geschieht, obgleich weit ab vom Schuss dessen, was der Fall ist, auf einleuchtende Weise. Der Erzaehler nimmt sich das Recht, etwas so wahrzuluegen, dass es uns in seiner gegen das Realitaetsprinzip verstossenden Stimmigkeit ueberzeugt. Alles in allem eine koestliche Tagtraumphantasie aus dem Geist einer alles verrueckenden Erzaehlung, die einmal mehr zeigt, wie Handke auf Werke bildender Kuenstler reagiert und was fuer Nuancen der Verdrehung er sich als Schriftsteller erlaubt und wie er, je mehr er im Bild bleibt, sich die Arbeit an Begriffen erspart und dadurch zu anderen Einsichten von poetischem Reiz gelangt. Er integriert jene Kunstwerke, denen er sich annaehert, in den Erzaehlfluss mit solcher Selbstverstaendlichkeit, dass kein Zweifel darueber besteht, hier schreibt einer, der, in Bildern stehend, gar nicht anders kann, als sie so zu befragen, wie er sich selbst befragt. Es ist, als krame er in seinem taeglich erweiterten Bildfundus, sobald er mit der Darlegung eines Sujets beginnt. Glueckende UEbergaenge deshalb, weil das Sichberufen auf ein Gemaelde in einem dazu passenden Kontext geschieht. So seltsam aufs erste die Vermutung klingt, die Personen saessen in einem Zugabteil mit Kurs durch die Zeit, so wenig abwegig wirkt der Wink des dritten Schriftsteller-Auges. Denn tatsaechlich sitzen da, am UEbergang zwischen Stillstand und Bewegung, die drei Nichtstuer so abwartend wie aus der Zeit gefallene Passagiere kurz vor ihrem Wiedereinfall in die Zeit. Verglichen mit den Fruechten an sich und in Gefahr, existieren die Menschen fuer sich, planlos und in einem Wartezustand. Der Autor, der darauf brennt, CEzannes Spuren zu folgen, und dabei auch wagt, sich mal fuer einen Moment an dem zu Sehenden entlang zu assoziieren, haendigt uns dadurch ploetzlich einen Schluessel zu dem Werk des Malers aus. Bestechend, mit welcher Leichtigkeit er Bildbeschreibungen in Erzaehlung aufgehen laesst. Immer in direktem Bezug auf sein Thema und nie an den Kunstwerken vorbei, auf die er seinen literarischen Blick wirft. Ja, der alles andere als logische, dafuer aber literarische UEbergang von den Portraets zu den Stilleben als ein UEbergang von Zuerich nach Paris hat nichts von einem Taschenspielertrick, sondern ist eine Augengeburt par excellence, zu der CEzanne den Anstoss gibt. Was Handke ueber den Maler auch sagt aufgrund eigener, mit Hilfe der von ihm studierten Abhandlungen erweiterten Erfahrungen, ist nie Evangelium, sondern ein Vorschlag, so wie ihm auch CEzannes Werke statt Botschaften, Vorschlaege sind.96 Dahinein spielt die Entdeckung des Homerischen bei CEzanne, der wie der grosse Epiker Griechenlands die Weltgegenden ausgebreitet hat, aber ohne Krieg.97 So tun seine Figuren nichts und niemandem etwas. Es ist, als sei da immer nur sonntags gemalt worden98 oder als spielten die Bilder im Paradies der Farben und Formen, welches Handke von seinem Sitz im Haus aus nachempfindet beim Hinausschauen auf die fahlen, wirr verschlungenen Lianen vor dem Fenster. Dabei denkt er, vielleicht darueber, dass es keinen persoenlichen Gott gibt, enttaeuscht zu sein, wenn er eine Ewigkeit nur in dem Paradies der Farben und Formen99 verbraechte. Von einem Sein im Frieden kuenden auch die Badenden CEzannes, die in ihrer Lebensfreude schweigen und mit ihren Koerpern in der Sonne den weiten Luftraum fuellen. Sie vertreten das Land der Freiheit, darin Handke, der Betrachter, sich mit ihnen gemeinsam stehen sieht. Aufgehoben scheint da die Distanz zwischen Betrachter und Werk. Um auszudruecken, welchen Eindruck die Gestalten hinterlassen, zitiert Handke passenderweise den blinden Borges mit dem erhellenden Satz: Weder Bewunderungen noch Siege, sondern einfach zugelassen sein, als Teil einer unleugbaren Realitaet, wie die Steine und die Baeume.100 Darin enthalten die Vorstellung, der Mensch sei in der Schoepfung aufgehoben und ein Niemand und von daher gleichgestellt mit allem anderen, was da ist. Das ist es, was Handke, der hier kein Vergehen in den Wechselfaellen der Geschichte beklagt, sondern ein Sein im Frieden weitergibt, unter Verwirklichung des reinen, schuldlosen Irdischen: des Apfels, des Felsens, eines menschlichen Gesichts versteht. In der Wiedererlangung einer zweiten Unschuld, die er trotz des zu erwartenden Misserfolgs anstrebt, sieht er die Aufgabe aller Kunst.101 Am Nachbartisch von CEzannes Kartenspielern Deren Groesse macht er daran fest, inwieweit ein Zoegern ueber allem liegt, und darum notiert er den von CEzanne noch vier Wochen vor seinem Tod geaeusserten Satz, wonach es ihm, waehrend er weiterhin nach der Natur arbeitet, so scheint, als mache er langsame Fortschritte102 Dessen, dass sich CEzanne die Natur erst malend verdienen musste103, ist sich Handke ebenso bewusst wie der sich daraus, dass er innerhalb einer noch so kleinen Form ueber keine automatische Formel verfuegt, ergebenden Schwierigkeiten. Laut Handke kommt es dem Maler darauf an, mit jedem Gegenstand neu das jeweilige Bild zu finden, und das ist in der Tat etwas, was der Autor von sich ebenso behaupten kann. Auch er muss mit jedem Gegenstand neu die jeweilige Erzaehlung finden und damit auch die jeweiligen Probleme der Verknuepfung loesen. Unverhoffte Parallelen. Wenn Handke sich mit CEzanne darin einig ist, dass das Gefuehl, angekommen zu sein, sich nicht mit dem vertraegt, was Kunst ist, so vor allem deshalb, weil es fuer die Suche nach der fuer den Gegenstand der Betrachtung in Frage kommenden Form kein Rezept geben kann. Konventionelle Darstellungsweisen werden abgelehnt, andere gesucht und zwar stets in engem Bezug zum Gegenstand. Nun worin aber unterscheidet sich das, was der Schriftsteller anstrebt, von dem Anliegen des Malers? Er, der Epiker, fuehlt sich fuer die Zeitbeschreibung eines jeden Vorgangs, darunter auch ein so peripheres wie das naechtliche Bellen eines Hundes, zustaendig, waehrend CEzanne auf die Raumbeschreibung eines jeden Dings aus ist.106 Etwas, was von Handke wiederholt geaeussert wird, sobald er einige CEzannes Revue passieren laesst, ist das Gefuehl der Naehe, um die es sowohl dem Maler als auch ihm, dem Schriftsteller, geht. Dieses spuert er im Jeu de Paume vor einem schon 1904, also nach der Jahrhundertwende gemalten Gemaelde aus den letzten Lebensjahren des Kuenstlers, darauf sich Felsbloecke und Kiefern zeigen. Der Ort und die Stelle werden im Titel Rochers prEs des grottes au-dessus de ChAteau noir benannt.107 Der Erzaehler, dem es schwer faellt zu sagen, was er davor verstand, erinnert als Ergebnis langen Bedenkens eine Filmsequenz: Henry Fonda, wie er in John Fords Die Fruechte des Zorns mit der eigenen Mutter wie all die anderen von der Landnot Umhergetriebenen um sie herum tanzt. Und das weniger aus Freude, denn als List, mit der sie in lebensbedrohlicher Situation das Stueckchen Erde, auf dem sie sich niedergelassen haben, gegen umzingelnde Feinde verteidigen. Das Bild des Tanzes als Ausdruck herzlichen Zusammenhalts in Gefahr108, der man entkommt, wie im Film erlebt, drueckt das von Handke vor dem Gemaelde empfundene und weiterzugebende Naehegefuehl aus. Film und Malerei werden hier nicht um jeden Preis kurzgeschlossen, sondern zu Parallelaktionen auf assoziativem Sprungfeld erklaert, deren Tenor sich gleicht. Die Kiefer und Felsen empfindet der Erzaehler sowohl so, als stuenden sie unvermittelt gross in seinem Innersten, oder so wie ein aufschwirrender, mit riesigen Schwingen durch den Koerper fliegender Vogel, wobei sich das dabei Aufschrecken nicht verfluechtigt wie sonst ueblich, sondern bleibt.109 Was sich ausserhalb von ihm befindet, nimmt der Betrachter in sich auf. Es wird verinnerlicht oder als etwas sich auf den Koerper buchstaeblich Zubewegendes erfahren. Eine Praesenz, die sich nicht dadurch abwehren laesst, dass sie verkonsumiert wird. Nun, was den Grad der Naehe anbelangt, so wird hier das Erleben des uebrigens durch die Erkenntnis, dass es um ein unwiderrufliches Weltgeschehen handelt, verstaerkten Bildes mit dem Erleben der Natur auf einer gleichen Stufe gestellt. Natur und Kunst sind hier nicht mehr getrennt, sondern so in einem Dialog stehend, dass sich das Kunstschoene und das Naturschoene ergaenzen. Deshalb der Rekurs auf die Passage aus einem Brief CEzannes, in dem der Maler abstreitet, nach der Natur zu malen, und seine Bilder als Konstruktionen und Harmonien parallel zur Natur definiert. Da, wo der Zusammenhang gelingt und sich Dinge, Kiefern und Felsen zu einer in der Menschheitsgeschichte einmaligen Bilderschrift auf reiner Flaeche zusammenfuegt, hat sich, so Handke, ein historischer Moment zugetragen. Dessen Ergebnis ist insofern zeitlos, als sich das, was der Flaeche sich darstellt, in der Betrachterzeit, wenn auch veraendert, wiederfindet. So glaubt der Erzaehler im CafE Mirabeau am Cours von Aix-en-Provence die Kartenspieler an einem Tisch mit dem darauf ausgebreiteten Spieltuch anzutreffen. Anders als auf den Bildern: rotwangig, gespraechig, kaum je im Spiel innehaltend, und doch genauso (mit stetig aufs Blatt gesenkten Lidern). Eine Verschraenkung von dem, was auf dem Bild zu sehen ist, mit dem, was der Erzaehler vor Ort erlebt, ist da ebenso zu verzeichnen wie in Balzacs Erzaehlung Le chef-d`oeuvre inconnu, darin der daneben sitzende Autor gerade liest, darauf verweisend, dass sich CEzanne in dem in seinem Verlangen nach dem vollkommenen-wirklichen Bild scheiternden Maler Frenhofer wiedererkannte.111 Offenbar korrespondieren die von Handke gemochte Kunst und Literatur unterschwellig mit der Welt, aus der heraus sie geboren wurden. Ein diskreter Wirklichkeitsbezug, gefiltert durch das Bewusstsein des Wort- oder Bildkuenstlers und wahrhaftiger als manch eine Biographie und manch ein Reisefuehrer. An der Gabelung der Abgrenzung Nun haben wir gesehen, wie sehr Handkes Auge um die bildende Kunst kreist, und uns ist aufgefallen, dass er sich bis auf seinen Text zu Julian Schnabels Skulpturen vor allem in die Malerei hineinversetzt, als empfaende er da eine bei allem Trennenden doch erhebliche Verwandtschaft. Jedoch gibt es Misstoene aus einer Art Hassliebe, die sich am deutlichsten in der Niemandsbucht abzeichnet. Im Grunde genommen haben wir es mit einer deftigen Kritik an jenem Kuenstlertypus zu tun, der sich als Sieger feiern laesst.112 Hier in Gestalt des Schwarz-Malers, dem selbstverstaendlich ist, dass er viel Geld verdient, und der so sehr glaubt, es stehe ihm zu, dass er auf jedes Kopfschuetteln ueber die von den Sammlern bezahlten Summen mit seinem: Das ist der Preis reagiert. Nur bestimmte Frauen merken ihm den Reichtum an, und zwar anhand von hundert Anzeichen: von seinem Blick bis zu seinen Socken. Ansonsten unterscheidet er sich kleidungsmaessig von seinen Besuchern kaum. In seinem dunkel gestreiften Anzug schaut er aus wie ein Haendler, ein Kaeufer, ein Spekulant, ein Kritiker oder Auftraggeber. Ja, er verhaelt sich wie ein seine Arme verschraenkender Herr, dessen Gehilfen, Angestellten und Hilfsarbeiter in grauen Werkstattmaenteln und mit gebueckter Haltung ohne sein Dazutun die Bilder zum Verkauf vorzeigen.113 Dieses Bild eines Herrn, der zu herrschen versteht, wird von Handke noch verfeinert. Kein Zufall, dass der nach aussen wie das Oberhaupt einer Bande auftretende Maler in einem negativen Licht erscheint. Er erinnert daran, was Handke ueber die Enkelgeneration sagt, der Anselm Kiefer, Markus Luepertz und Georg Baselitz angehoeren und welche, auf ihre Weise neuerdings auf so etwas wie Macht aus ist114. Hinzu tritt die Aversion gegen den skrupellosen oder panischen Bilderschwung von Malern, soweit reichend, dass er die verschiedenen historischen Bildstuermereien wenn nicht verstehen so nachfuehlen kann, wohingegen er fuer einen Buechersturm kein Verstaendnis hat. Hier nimmt Handke eine bisher ungeahnte Abgrenzung vor, darin gipfelnd, dass der Ich-Erzaehler dem Maler, obgleich sein Freund, sein vieles Geld nicht goennen kann. Es ist ihm sogar suspekt, wie bestaendig heiter und nach aussen gekehrt er auftritt und dass ihm nichts mehr zu schaffen macht und so etwas wie Neuanfang oder eine Verwandlung zurueckweist.115 Es klingt, als kaeme hier die Gabelung eines Wegs, an dem sich der Schriftsteller vom Maler verabschiedet, bezogen auf die Ernsthaftigkeit des kuenstlerischen Tuns. Waehrend der Ich-Erzaehler wie ein Sisyphos aus Albert Camus` Tagen von der Notwendigkeit der Verwandlung und des ewigen Neu-Beginns ueberzeugt ist, glaubt der Maler, auf dem Gipfel seiner Moeglichkeiten zu sein. Als wolle er diesen Glauben des Irrtums ueberfuehren, laesst Handke ihn Konkurs anmelden. Ja, er geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er den Unterschied verallgemeinert mit Hilfe der Aussage eines Dritten, der bei fast saemtlichen Malern und Schriftstellern der Zeit zu Besuch war. Es entspricht seiner Erfahrung, dass die ersteren sich im Alter eher gelassen, gesellig, guter Dinge, als Meister ihrer selbst (zeigten), waehrend die alten Schreiber unzufrieden, beleidigt, griesgraemig und, selbst die Erfolgreichen, zu kurzgekommen wirkten.116 Offenbar liegt dies in der Natur der Sache. Ja, es scheint, als faende der Erzaehler das muehevolle, der Verzweiflung nahe Schreiben ernsthafter als Malerei und als praege der Markterfolg Charaktere. Dabei ist die Situation der Maler zwar ertraeglicher als die Alterslage der an sich selbst und ihrer Taetigkeit leidenden Schriftsteller, aber trotzdem nicht wuenschenswerter, weil die Kunst dabei auf der Strecke bleibt. Nun ist das negative Bild des Malers, von Handke gezeichnet, keineswegs ungebrochen, denn immerhin wird der Maler als jemand dargestellt, der von Selbstekel heimgeholt wird und dem allein in Sicherheit zu sein, etwas Unheimliches ist und den es mit dem Altwerden verstaerkt stoert, gewonnen zu haben. Es sind diese Eigenschaften, die ihn in Balance halten und den Ich-Erzaehler zu ihm halten lassen. Daheim, in der Banlieu Die Tatsache, dass sich der Ich-Erzaehler und der Maler, den er aus der Stadtmitte schon laengere Zeit kannte, erst bei einer Begegnung in der Vorstadt naeherkommen, wird von Handke auf den besonderen Ort zurueckgefuehrt. Er veraendert den gerade einen Bistro verlassenen Maler angenehmerweise derart, dass er die Allueren der Metropole ablegt. Mitten in Paris wirkt er wie einer, der, wenn nicht mondaen, die Brille auf den Kopf geschoben, so doch deshalb amtlich wirkte, weil er nebenbei als Professor an der cole des Beaux Arts lehrte. Dagegen macht die Banlieu ihn zu einem, der sich kaum heraushob unter den Handwerkern und oertlichen Angestellten. Diese Unscheinbarkeit ist dem Erzaehler lieb und teuer und Merkmal der Banlieu. Dort, am UEbergang von der Stadt zum Land, wird erst die Umarmung der beiden moeglich. Sie finden da zueinander, wie es nur zweien aus dem selben Dorf passiert, die sich dort nichts zu sagen hatten und ploetzlich des anderen erstmalig gewahr werden. Erst draussen vor der Stadt ereignet sich der Moment des Sich-mit-dem-Maler-verbunden-Fuehlens.117 Neben der vertrauenserweckenden Seite bleibt jedoch die andere bestehen, die Handkes Unwohlsein ausloest. Auf dieses vom jeweiligen Aufenthaltsort abhaengige Doppelleben des Malers reagiert der Erzaehler mit gewisser Reserviertheit, wenn nicht sogar Aversion. Ob Fiktion oder dem Leben nacherzaehlt, Handke schickt ironischerweise seinen Maler in ein verhaengnisvolles Jahr, wo er so gut wie alles verliert. Ausgerechnet der Staat, den der zuvor weltberuehmte Kuenstler des Landes als ein Unrecht verflucht hat, da seine Gruender Verraeter seien, zieht seine Gueter ein. Offensichtlich macht sich kein Fluchen bezahlt, denn das Schicksal trifft ihn mit aller Gewalt. Denn auch seine Auslandsbesitztuemer, samt Gemaelde-Arsenalen werden Opfer eines Brands, und ein neuer Bildersturm zerstoert seine Werke in den Museen derart, dass sein Schwarz mit Leuchtaetzfarben ueberstempelt wird. Sogar die letzte Galerieausstellung wird abgesagt, und sein in Madrid zunaechst erfolgreich angelaufener Film nach dem bis heute realunverfilmten Roman Als ich im Sterben lag von William Faulkner, Handkes geliebten Autor, wird von einem amerikanischen aus den Kinos verdraengt. Damit nicht genug des Falls nach dem Aufstieg, auch die eine Kopie mitsamt den Ursprungsrollen geht nicht nur verloren, sondern wird auch noch bei einem Eisenbahnraub als wertlos auf die Schienen gekippt. Und wenn dann auch noch die einst fuer die Malerfuersten gegruendeten Banken bankrott machen, ist klar, wer da gemeint ist. Nicht der Maler als solcher, sondern der Typus des Malerfuersten oder Shooting-Stars in der Pose des auf der Erfolgswelle des Marktes schwimmenden Siegers. Er ist es, dem Handke ein jedoch zu einer Neubesinnung fuehrendes Fatum als heilsames verschreibt. So bekommt er in der Stockfinsternis, worin er sich bewegt, (...) grosse Augen nicht nur vor Wachsamkeit, sondern ebenso vor Wissbegierde.118 Klarer Fall, Handke erzaehlt hier die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Malers, der aufbrach, ein Filmregisseur zu werden, und Orten wie Vigo, La Coru, Pontevedra und den Fjorden tief im Landinnern Galiziens, wo er seinen Film gedreht hat, durch das Bildermachen und Ablichten Schaden zufuehrt. Es war, - obwohl die Kamera immer im Abstand geblieben war -, als seien die Gegenden dadurch gepluendert worden und als braeuchte es seine Zeit, bis sie sich davon wie das Gras von dem Niedergetretenwerden wieder erholten.119 Diese Kritik am Abfilmen der Welt, die auf einem Bilderverbot beruht, muendet in die Vermutung, der Maler sei durch UEbertretung sich selbst fremd geworden. Wenn Handke mit einer Malerei hadert, die weder Zoegern noch Selbstzweifel kennt, so erzaehlt er gegen diese Selbstsicherheit an. In seiner Dialektik des Zusammenbruchs steckt bei aller Liebe zur Malerei dann doch ein klares Bekenntnis zur Literatur, weil ihr das der bildenden Kunst Angelastete fremd ist. Warum? Offenbar, weil die Woerter nicht dazu verfuehren und weil selbst der weltweite Verkauf guter Buecher keinen so reich werden laesst, dass er den Boden unter den Fuessen verliert. Nun waere es verkehrt, das vom Ich-Erzaehler Gesagte fuer bare Muenze zu halten oder als die ausschliessliche Haltung des Peter Handke zu nehmen. Er verstaerkt nur seine Bedenken, indem er sie in der Gestalt des Malers aufgehen laesst. Eine Boesartigkeit, die er sich erlaubt, weil er sie gleichzeitig wieder zuruecknimmt. Im Grunde gaebe es noch viel zu sagen, denn die Passagen zur Malerei, zu der sich Handke vielleicht deshalb mehr bekennt als zu anderen Gattungen, weil sie das Problem der Farbe zu loesen versucht, sind laengst nicht ausgeschoepft. Zudem vermehren sich Fragen. Darunter die, was Handke mit Joseph Beuys zu tun hat, mit dem er in seinen Duesseldorfer Jahren zusammen kam. Ja, und was verbindet ihn mit Fritz Schwegler, den er anlaesslich einer Petrarca-Preis-Feier kennen- und schaetzengelernt hat, oder mit Evgen Bavcar, dem blinden Fotografen, mit dem er befreundet ist und den er in Abschied des Traeumers vom Neunten Land beim Gehen in Paris als einen slowenischen Wegkumpanen bezeichnet. Fragen, nichts als Fragen, die alles offenhalten. Auch im Sinne jener Leere, um die alle Kunst und alle Literatur kreist, wie Handke meint. ANMERKUNGEN 1.) Ders.: Einige Anmerkungen zur Arbeit von Jan Voss, S.202; in: Ders.: Langsam im Schatten, Frankfurt/Main 1992, S.200-204 2.) Ders.: Im Gespraech mit Herbert Gamper: Aber ich lebe von den Zwischenraeumen, Zuerich 1987, S.30 3.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, Frankfurt/Main 1980, S.52 4.) Ders.: Versuch ueber den geglueckten Tag. Ein Wintertagtraum, Frankfurt/Main 1991, S.82 5.) Ders.: a.a.O., S.7f. 6.) Ders.: Die Geschichte des Bleistifts, Salzburg/Wien 1982, S.197f. 7.) Ders.: a.a.O., S.19f. 8.) Ders.: Einige Anmerkungen zur Arbeit von Jan Voss, S.201f.; in: Ders.: Langsam im Schatten, Frankfurt/Main 1992, S.200-204 9.) Ders.: Phantasien der Wiederholung, Frankfurt/Main 1983, S.67 10.) Ders.: Der kurze Brief zum langen Abschied, Frankfurt/Main 1972, S.64f. 11.) Ders.: Langsame Heimkehr, Frankfurt/Main 1984, S.47 12.) Ders.: a.a.O., S.116 13.) Ders.: a.a.O., S.535ff. 14.) Ders.: a.a.O., S.66 15.) Ders.: a.a.O., S.116 16.) Ders.: Versuch ueber die Jukebox, Frankfurt/Main 1990, S.12 17.) Ders.: a.a.O., S.11 18.) Ders.: a.a.O., S.32f. 19.) Ders.: a.a.O., S.31f. 20.) Ders.: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, Frankfurt/Main 1979, S.74f. 21.) Adolf Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg u. Wien 1992, S.87 22.) Peter Handke: Der Maler Peter Pongratz (1966), S.13, in: Ders.: Das Ende des Flanierens, Frankfurt/Main 1980, S.8-13 23.) Ders.: a.a.O., S.9 24.) Ders.: a.a.O., S.10 25.) Ders.: a.a.O., S.11 26.) Ders.: a.a.O., S.12 27.) Ders.: Peter Pongratz und Walter Pichler (1974), S.16, in: Ders.: Das Ende des Flanierens, a.a.O., S.14-17 28.) Ders.: a.a.O., S.15 29.) Ders.: a.a.O., S.13 30.) Ders.: a.a.O., S.14f. 31.) In: TEXT + KRITIK; Heft 24 (1969), S.3 32.) Ders.: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, a.a.O., S.9f. 33.) In: DIE ZEIT v. 15.5.1970 34.) Aus: Koelner Stadt Anzeiger, Nr. 299, Weihnachten 1968 35.) Peter Handke: Mein Jahr in der Niemandsbucht, Frankfurt /Main 1994, S.304f. 36.) Ders.: a.a.O., S.244 37.) Ders.: Das Gewicht der Welt, Frankfurt/Main 1979, S.205 38.) Ders.: Mein Jahr in der Niemandsbucht, a.a.O., S.305 39.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.11f. 40.) Ders.: a.a.O., S.70f. 41.) Ders.: a.a.O., S..55 42.) Ders.: a.a.O., S. 81 43.) Ders.: a.a.O., S.11 44.) Ders.: a.a.O., S.12 45.) Ders.: a.a.O., S.63 46.) Ders.: Phantasien der Wiederholung, a.a.O., S.47 47.) Ders.: a.a.O., S.148 48.) Ders.: Die Geschichte des Bleistifts, a.a.O., S.211 49.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S18 50.) Ders.: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus, Frankfurt/Main 1997, S.69 51.) Ders.: Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit. Ein Koenigsdrama, Frankfurt/Main 1997, S.97 52.) Ders.: Mein Jahr in der Niemandsbucht, a.a.O., S.511 53.) Ders.: a.a.O., S.512 54.) Ders.: a.a.O., S.513 55.) Ders.: a.a.O., S.514 56.) Ders.: a.a.O., S.515 57.) Ders.: a.a.O., S.516f. 58.) Ders.: a.a.O., S.518f. 59.) Ders.: a.a.O., S.64 60.) Ders.: Einige Anmerkungen zur Arbeit von Jan Voss, S.202; in: Ders.: Langsam im Schatten, a.a.O., S.200-204 61.) Ders.: a.a.O., S.113f. 62.) Ders.: a.a.O., S.138f. 63.) Ders.: Der Chinese des Schmerzes, Frankfurt/Main 1983, S.139ff. 64.) Ders.: Das Gewicht der Welt, Frankfurt/Main 1979, S.85 65.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.16 66.) Ders.: Peter Pongratz und Walter Pichler (1974), a.a.O., S.16 67.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O.; S.18f. 68.) Ders.: Peter Pongratz und Walter Pichler (1974), a.a.O., S.26 69.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O.; S.19 70.) Ders.: Die Geschichte des Bleistifts, a.a.O.., S.138 71.) Ders.: a.a.O., S.90 72.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.75 73.) Ders.: Die Geschichte des Bleistifts, a.a.O., S.223 74.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.31f. 75.) Ders.: a.a.O., S.11 76.) Ders.: a.a.O., S.138 77.) Ders.: a.a.O., S.80 78.) Ders.: Im Gespraech mit Herbert Gamper: Aber ich lebe von den Zwischenraeumen, a.a.O., S.102 79.) Ders.: Phantasien der Wiederholung, a.a.O., S.54 80.) Ders.: Langsame Heimkehr, a.a.O., S.207 81.) Ders.: a.a.O., S.209f. 82.) Ders.: Im Gespraech mit Herbert Gamper: Aber ich lebe von den Zwischenraeumen, a.a.O., S.57 83.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.45 84.) Ders.: a.a.O., S.40 85.) Ders.: Epopoee vom Verschwinden der Wege oder Eine andere Lehre der Sainte-Victoire, S106f., in: Ders.: Noch einmal fuer Thukydides, Salzburg/Wien 1995, S.103-111 86.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.29f. 87.) Ders.: a.a.O., S.74 88.) Ders.: Epopoee vom Verschwinden der Wege oder Eine andere Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.101f. 89.) Ders.: Phantasien der Wiederholung, a.a.O., S.200 90.) Ders.: a.a.O., S.186 91.) Ders.: a.a.O., S.83f 92.) Ders.: Die Lehre der Sainte Victoire, a.a.O., S.35 93.) Zitiert nach: Ders.: Die Lehre der Sainte Victoire, a.a.O., S.79 94.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.79 95.) Ders.: a.a.O., S.80 96.) Ders.: a.a.O., S.80f. 97.) Ders.: Die Geschichte des Bleistifts; Salzburg/Wien 1982, a.a.O., S.186 98.) Ders.: a.a.O., S.189 99.) Ders.: a.a.O., S.206 100.) Ders.: a.a.O., S.160 101.) Ders.: Phantasien der Wiederholung, a.a.O., S.21 102.) Ders.: Die Geschichte des Bleistifts; a.a.O., S.149 103.) Ders.: a.a.O., S.180 104.) Ders.: a.a.O., S.189 105.) Ders.: a.a.O., S.190 106.) Ders.: a.a.O., S.197 107.) Ders.: Die Lehre der Sainte-Victoire, a.a.O., S.76 108.) Ders.: a.a.O., S.76 109.) Ders.: a.a.O., S.77 110.) Ders.: a.a.O., S.78 111.) Ders.: a.a.O., S.64 112.) Ders.: Mein Jahr in der Niemandsbucht, a.a.O., S.178 113.) Ders.:a.a.O., S.520ff 114.) Ders.: Emil Schumacher, ferne Figur. Ferne Figur?; in: Retrospektive, Retrospective Galerie Nationale de Jeu Paume, Paris, Hamburger Kunsthalle, Haus der Kunst Muenchen, Hrsg. von: Bernhart Schwenk, Thomas-Bachmann, Antje Longhi, Klaus Christian Vogel, Paris 1997 115.) Ders.: Mein Jahr in der Niemandsbucht, a.a.O., S.173ff. 116.) Ders.: a.a.O., S.175 117.) Ders.: a.a.O., S.280ff 118.) Ders.: a.a.O., S.920ff. 119.) Ders.: a.a.O., S.923




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