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NZZ, Neue Zuercher Zeitung, vom 11.05.1996, Seite: 68 li Literatur und Kunst Das Erwaermen der Dinge / Peter Handke oder Die Zuruecknahme des Urteils Von Peter Hamm Peter Handke hat das Schwierigste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka wagen konnte, naemlich erzaehlend fuer Weltvertrauen zu werben. Seine Zukehr zur Welt resultiert aus der Anschauung der gegenstaendlichen Welt, aus der Erfahrung jener zeitlosen Gegengeschichte, die in den Medien nicht vorkommt. Inzwischen ist Handke selbst ein Besucher der Schlagzeilenwelt geworden. Die nachstehende Rede, die wir in Auszuegen wiedergeben, ist anlaesslich des Schiller-Gedaechtnis-Preises im letzten Jahr entstanden - noch vor Handkes Werben um Gerechtigkeit fuer Serbien. Ein Jahrhundert geht zu Ende - und mit ihm ein Jahrtausend, und viele aengstigt die Vorstellung, dass noch weit mehr zu Ende gehen koennte als nur ein Zeitabschnitt. Katastrophen- und Endzeitstimmung liegt in der Luft und dringt aus den Buechern. Und auch wer Peter Handkes Verdikt im Ohr hat, nach dem man den Nicht-Kuenstler schon daran erkenne, dass er das Gerede von der Endzeit mitmache, wird kaum die Augen verschliessen koennen vor den Schrecken unserer Epoche, die solches Endzeitdenken naehrten. Zeitalter der Angst, Zeitalter des Misstrauens, Zeitalter des Verrats, Zeitalter der Massen und der Massenvernichtung, Zeitalter der Woelfe und der Sonnenfinsternis, Zeitalter nach dem Tode Gottes, Zeitalter der Hoelle: das sind einige der Etiketten, die unserem verfluchten Jahrhundert - wie es in Peter Handkes Erzaehlung Langsame Heimkehr genannt wird - verpasst wurden. Wollte man diese und aehnliche Jahrhundertdefinitionen ins Literarische uebersetzen und einen Schriftsteller als Propheten oder als Seismographen unseres Jahrhunderts ausrufen, es kaeme nur einer in Frage: Franz Kafka, dessen Name es nicht von ungefaehr zu einem Adjektiv - zu kafkaesk - gebracht hat, also zu einer Sach- oder Stimmungsbezeichnung. Kein Zweifel: unser Jahrhundert war das Jahrhundert Franz Kafkas. DIE WELT ALS GEFANGNIS Koennte ich noch andere Luft schmecken als die des Gefaengnisses? Das ist die grosse Frage oder vielmehr, sie waere es, wenn ich noch Aussicht auf Entlassung haette: so endet Kafkas Erzaehlung Schlag ans Hoftor. Die Welt als Gefaengnis und in diesem Gefaengnis Menschen, die nicht wissen, fuer welche Schuld sie verurteilt wurden, Menschen, die sich in Ungeziefer verwandelt fuehlen: das ist die licht- und heillose Welt der Buecher Franz Kafkas, der sich, wie er es in Ein Landarzt ausdrueckt, nackt dem Froste dieses unglueckseligen Zeitalters ausgesetzt sah und sich Erloesung nur noch als Endzeitkatastrophe denken konnte. So verraet es seine Erzaehlung Das Stadtwappen: Alles, so heisst es da, alles was in dieser Stadt an Sagen und Liedern entstanden ist, ist erfuellt von der Sehnsucht nach einem prophezeiten Tag, an welchem die Stadt von einer Riesenfaust in fuenf kurz aufeinanderfolgenden Schlaegen zerschmettert werden wird. Deshalb hat auch die Stadt die Faust im Wappen. Erinnern Sie sich noch an den Schluss von Kafkas Roman Der Prozess? Zwei Herren holen da Josef K. aus seiner Wohnung und fuehren ihn zu einem Steinbruch unmittelbar am Rande der Stadt, wo einer der beiden Josef K. mit einem grossen Fleischermesser exekutiert. Obwohl Josef K., wie Kafka es formuliert, genau wusste, dass es seine Pflicht gewesen waere, sich selbst mit diesem Messer zu toeten, bringt er die Selbsthinrichtung nicht ueber sich. Unmittelbar bevor Josef K. stirbt, faellt sein Blick auf das an den Steinbruch angrenzende Haus, in dessen oberstem Stockwerk sich ploetzlich ein Fenster oeffnet und sich ein Mensch zeigt: Ein Mensch schwach und duenn und in der Ferne und Hoehe beugte Er sich mit einem Ruck weit vor und streckte die Arme noch weiter aus. Wer war es? Ein Freund? Ein guter Mensch? Einer der teilnahm? Einer der helfen wollte? War es ein einzelner? Waren es alle? War noch Hilfe? Warum ich Kafkas Prozess und sein Ende in Erinnerung rufe? Weil ich in dem Mann im Fenster, von dem Josef K. Teilnahme, vielleicht sogar letzte Hilfe erhofft, oft Peter Handke gesehen habe. Weil mir Peter Handkes erzaehlerisches Werk insgesamt als der immer neue Versuch einer Zuruecknahme von Kafkas Prozess erscheinen will, als - das grosse Wort sei gewagt - Erloesung Franz Kafkas, mithin Erloesung des Zeitalters. Die Auseinandersetzung mit Kafka durchzieht Handkes Werk. Schon sein 1967 erschienener Prosaband Begruessung des Aufsichtsrats enthaelt eine siebzehnseitige Nacherzaehlung von Kafkas Prozess-Roman, an der auffallend ist, dass Handke - mit einer minimalen, aber bezeichnenden Korrektur Kafkas - aus Josef K.s Weigerung, sich selbst zu toeten, einen Akt stolzer Verweigerung macht, waehrend bei Kafka diese Weigerung als Schwaeche Josef K.s erscheint, als Fehler: Die Verantwortung fuer diesen letzten Fehler, so Kafka, trug der, der ihm den Rest der dazu noetigen Kraft versagt hatte. Wer sonst koennte damit gemeint sein als der Schoepfer, der bei Kafka kein Erloeser ist? In einer 1974 veroeffentlichten kurzen Notiz Zu Franz Kafka, in der Peter Handke zunaechst bewusst respektlos gegenueber dem ewigen Opfer Kafka von dessen Pickeln und Frauengeschichten spricht, spinnt er dann so etwas wie eine Erloesungsphantasie: Wenn ich an Kafka denke und ihn vor mir sehe, habe ich das Gefuehl, ich muesste ihn nur geduldig anschauen, vielleicht auch zwischendurch den Kopf senken, um ihn nicht zu verletzen - und er wuerde nach und nach aufhoeren, das blosse Bild eines Opfers zu sein, und etwas ganz anderes werden, und davon erzaehlen, aber mit derselben Gewissenhaftigkeit wie vorher. Peter Handke hat das Schwierigste und Hoechste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka ueberhaupt wagen konnte, naemlich - ich moechte es so einfach sagen - erzaehlend wieder fuer Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen. Das bedeutet: das Dasein nicht mehr als Daseinsverhaengnis zu verwerfen, sondern es, ohne dabei die vielen Formen der Daseinsnot zu unterschlagen, als Daseinsgabe aufzufassen und anzunehmen, als Daseinsaufgabe. Fuer den Schriftsteller kann diese Aufgabe nichts anderes sein als das rechte Erzaehlen vom Dasein - und das ungeachtet einer kulturellen Stimmungslage, in der als Signum des Bedeutenden und der Modernitaet zumeist das gerade Gegenteil gilt, naemlich die Schmaehung des Daseins in immer finstereren, immer blutigeren Endspielen, die aber kaum je aus Kafkas (oder Becketts) Not geboren werden, sondern marktkonformer Verzweiflungsroutine entstammen. Kafka hat sich einmal apostrophiert als den enterbten Sohn. Um eine Weltvertrauen schaffende Literatur zu verwirklichen, bedurfte Handke eines Erbes, musste er die Kunst zu erben (Hanns Eisler) erlernen und in eine andere Tradition eintreten als die von Dostojewski zu Kafka reichende - in eine klassische und antitragische. Handkes Bekenntnis zur Klassik, das er 1979 in seiner Dankrede fuer den Kafka-Preis abgelegt hat, wurde ihm seltsamerweise von manchen als Anmassung ausgelegt; als ob wirkliches Kuenstlertum ohne solche Anmassung - und das heisst ja nichts anderes als an anderen Mass nehmen - ueberhaupt auskommen koenne. Das Wort sei gewagt, so formulierte Handke damals, ich bin, mich bemuehend um die Formen fuer meine Wahrheit, auf Schoenheit aus - auf die erschuetternde Schoenheit, auf Erschuetterung durch Schoenheit; ja, auf Klassisches, Universales, das, nach der Praxis-Lehre der grossen Maler, erst in der steten Naturbetrachtung und -versenkung Form gewinnt. Viele meinen heute, die Natur gebe es gar nicht - oder bald nicht mehr. Fuer Kafka gab es sie nie. Peter Handke verdanken wir die eindringlichsten Naturbeschreibungen seit Stifter. Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthuellen anfaengt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer wuerdigsten Auslegerin, der Kunst, schrieb Goethe. Es sind vor allem die grossen Naturausleger unter den Klassikern, die Diener des Sichtbaren, wie Handke sie einmal nennt, zu denen er sich hingezogen fuehlt. Dazu gehoeren nicht nur Homer, Vergil, Goethe, Stifter und auch der Goethe-und-Stifter-Bewunderer Nietzsche, der einmal aeusserte, kein Gedanke sei etwas wert, der nicht im Freien gefunden worden sei, es gehoeren dazu auch Maler wie Cezanne, den Handke ausdruecklich seinen Lehrmeister nannte und dessen Beispiel ihn zu einem seiner lichtesten Buecher ermuntert hat, Die Lehre der Sainte-Victoire. Es war aber dieser Cezanne, von dem der Ausruf kam: Es steht schlecht. Man muss sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet. So wie fuer Cezanne Natur keine gegebene Harmonie war und er sie malend erst erschaffen musste - er male nicht nach der Natur, sondern schaffe seine Bilder als Konstruktionen und Harmonien parallel zur Natur, sagte Cezanne -, ist auch fuer Handke Natur nichts beliebig Verfuegbares und schon gar nicht ein Freiluftmuseum fuer Heilsucher, sondern etwas Aufzuspuerendes, eine andauernde Aufgabe. In seinem Theaterstueck UEber die Doerfer heisst es von der Natur: Sie kann weder Zufluchtsort noch Ausweg sein. Aber sie ist das Vorbild und gibt das Mass: dieses muss nur taeglich genommen werden. Gleichermassen ist die Klassik fuer Handke keine Weimarer Firma, der man als Juniorpartner beitreten koennte, sondern etwas gegen grosse Widerstaende Freizulegendes, Freizuphantasierendes. Es ist keine Verkleidung oder historische Maskerade, wie sie etwa Thomas Mann in seiner Lotte in Weimar veranstaltete, und keine klassizistische UEbernahme ueberkommener Formen, wie wir sie etwa bei Hans Carossa finden - vor dem Klassizistischen, das ein Zeichen des Buergerlichen sei, so Peter Handke, bewahre ihn das Pathos seiner Herkunft -, es ist bei Handke vielmehr - so hat er es selbst ausgedrueckt - stete Verwandlung ins Unverkleidete. Es ist ja nicht nur viel verschwunden, sondern auch etliches hinzugekommen, und Berufung auf Klassik heisst bei Handke keineswegs Abwehr der Gegenstaende des technischen Zeitalters. Im Gespraech mit Hermann Lenz verteidigte Handke die von Lenz so ungeliebten technischen Gegenstaende als durchaus literaturwuerdig, und in seinen Buechern erscheinen sie immerzu im klassischen Sinne wahrgenommen, d. h. durch die Art der Wahrnehmung, durch die Einheit von Gewahrwerden und Vorstellungskraft, immer auch schon wieder ins Naturhafte verwandelt - seien das nun Reklamebilder, die Jukebox, die Oberleitungsdraehte der Busse oder die nasse Betonpiste des Salzburger Flughafens, die Loser, der Chinese des Schmerzes in der gleichnamigen Erzaehlung, vom Fenster des Flughafenhotels aus unterm Vollmond in einen stillen See verwandelt sieht. Dieses 20. Jahrhundert hat freilich viel dazu getan, den Weg zu den Klassikern zu verstellen und zuzuschuetten mit Truemmern aller Art. Wenn Peter Handke in seiner Geschichte des Bleistifts, jenem Journal, in dem auf fast jeder zweiten Seite die Klassiker angerufen werden, einmal schreibt: Ich kann von den Klassikern sagen, dass sie mich gerettet haben, so ahnt man schon, dass solcher Rettung viel Verlorenheit - auch Verlorenheit an dieses Zeitalter - vorausging. Dichter wird man als Kind, schrieb die russische Dichterin Marina Zwetajewa, und, moechte ich hinzufuegen, man wird es durch die Katastrophen - auch die lautlosen Katastrophen - der Kindheit. Im Jahr 1942 geboren und zwischen 1944 und 1948 in Berlin aufgewachsen zu sein, also gewissermassen im Zentrum der Geschichtskatastrophe, dazuhin vaterlos, und in der Nachkriegszeit dann einem gewalttaetigen Stiefvater und einem bornierten katholischen Priesterseminar ausgeliefert, schliesslich den Selbstmord der Mutter nicht verhindern zu koennen - das bedeutete nicht nur, sich schuldlos verurteilt zu fuehlen und Kafkas Angste mit allen Poren einzuatmen, das bedeutete auch, den Glauben an das Schoene, Wahre und Gute nachhaltig in sich und in der Welt erschuettert zu sehen. Wie denn sollten diese Begriffe je wieder etwas wert werden? Vielleicht nur - und das haben mich vor allem Peter Handkes Buecher gelehrt - mittels Minimalisierung: das Wahre waere dann nur das jeweilige Gewahrwerden, das Gute das jeweils Beguetigende und das Schoene - nein, nicht das Beschoenigende, aber das jeweils Verschoenende, eine andere Art der Belichtung, eine aufhellende. Der blosse Versuch, eine Tragoedie zu schreiben, wuerde ihn vernichten, gestand Goethe einmal Eckermann. Es ist neben diesem antitragischen Impetus Goethes vor allem dessen ganz auf Anschauung und Betrachtung gerichtetes Denken, das seine Anziehungskraft auf Handke ausuebt. Handkes Zukehr zur Welt - sein Ja zur Welt - resultiert aus Erfahrung und Anschauung der sichtbaren, der gegenstaendlichen Welt und ist implizit Abkehr von der geschichtlichen Welt. Das Werk Handkes ist - um einen Buchtitel von ihm aufzunehmen - eine Langsame Heimkehr zu jener Geschichte, die in den Medien nicht vorkommt. Allen Buchhelden seit seiner Erzaehlung Langsame Heimkehr erwaechst das Heil aus dieser Geschichte, die nichts anderes ist als das Ewige im Alltaeglichen. Und dieses Ewige ist immer das Unscheinbare; oder: das Unscheinbare im taeglichen Ablauf, das ist das Ewige. Die taeglichen Verrichtungen wie der morgendliche Griff zur Teekanne, ein vorbeitreibendes Blatt, ein bestimmter Lichteinfall in einer Strasse, ein Schriftzeichen an der Wand, der Blick eines Passanten: es sind diese fuer gewoehnlich gar nicht mehr bis in unser Bewusstsein vordringenden Erscheinungsformen des taeglichen Lebens, die die eigentliche Substanz unseres Lebens bilden - und ohne die das Gewicht der Welt nicht zu tragen waere. Handkes Erzaehlideal ist zunehmend der hohe sachliche Ton der grossen Geschichtsschreiber geworden, nur dass er mit der nachdruecklichen Nuechternheit dieser Geschichtsschreiber nicht mehr Geschichte, sondern Gegengeschichte schreibt. Ein Buch fuehrt im Titel den Namen des Erfinders der modernen Geschichtsschreibung, der die Geschichte des Peloponnesischen Krieges aufgezeichnet hat, doch in Handkes Nocheinmal fuer Thukydides sind es ein Wetterleuchten, eine Esche am Muenchner Siegestor, ein alter Schuhputzer in Split oder die Formen der Kopfbedeckungen in Skopje, die wie historische Ereignisse berichtet werden. Einer der kurzen Texte aus diesem Buch traegt den programmatischen Titel Versuch des Exorzismus der einen Geschichte durch eine andere. Darin wird beschrieben der sonnige Sonntagmorgen des 23. Juli 1989, an dem der Erzaehler vom Hotel Terminus am Bahnhof Lyon-Perrade aus das Gleisfeld uebersieht, ueber das die Eisenbahner mit ihren Akten- oder Plastictaschen hin- und hergehen, waehrend ueber ihnen die Schwalben im Flug Faltkniffe in den Himmel machen. Irgendwann kommt ihm in den Sinn, dass das Hotel Terminus im Krieg das Folterhaus des Klaus Barbie war - und er sieht jetzt die Schwalben, das Blattwerk einer Platane, einen Eisenbahner mit schwarzer Aktentasche, der, seines Ziels gewiss, seinen Weg geht im Schaukelgang, und den blauen Falter, der auf einer Schiene landet und in der Sonne blinkt, noch bewusster als Epiphanien der Gegengeschichte. DER EWIGE EPIKER Nein, eine Flucht in eine heile Sonntagswelt ist das nicht; Handkes Kurzepos schliesst mit dem Satz: Und die Kinder von Izieu schrien zum Himmel, fast ein halbes Jahrhundert nach ihrem Abtransport, jetzt erst recht. Aber es ist doch der Versuch, dem Geschichtsunheil nicht das letzte Wort zu lassen, sich von ihm nicht blind machen zu lassen, fuer die andere Geschichte. In Peter Handkes Phantasien der Wiederholung findet sich ein Schluesselsatz: Kein Jesus soll mehr auftreten, aber immer wieder ein Homer. Wer um Handkes Verwurzelung im Katholizismus seiner Kindheit weiss, wird in diesem Satz nicht den Schimmer einer blasphemischen Absicht erblicken. Indem Handke nicht den Erloeser am Kreuz, nicht das Marterbild, sondern den ewigen Epiker, den Epiker der ewigen Wiederkehr, anruft, ruft er allerdings, wie schon Nietzsche vor ihm, nach der Erloesung von der Erloesung. Erloesung waere, ihrer nicht mehr beduerftig zu sein. Erleuchtend waere allein schon die Wahrnehmung der Welt und das Wiederholen der Welt in der Erzaehlung von der Welt. Vom ewig wiederholenden Erzaehler spricht Goethe, und ein Imperativ in der Langsamen Heimkehr lautet: Sinn fuer Wiederholung kriegen! Dort traeumt Sorger von dem geglueckten Tag, an dem allein die Tatsache, das es Morgen und Abend, hell und dunkel wuerde, Schoenheit genug waere. Das Schoene sieht man so schlecht, sagt das Kind einmal in Handkes Kindergeschichte. Handke macht, dass man es ueberhaupt sieht, aber er illuminiert es nicht phantastisch mit kuenstlichem Licht. Phantasie heisst bei ihm nicht etwas erfinden, sondern etwas wiederfinden, etwas UEbersehenes wieder und wie neu sehen. Phantasie ist fuer ihn eine Art Erwaermen der Dinge. Als ewigen Anfaenger hat sich Peter Handke im Nachmittag eines Schriftstellers bezeichnet; aber, so moechte ich hinzufuegen, es ist gerade dies seine Kunst, ewig ein Anfaenger zu bleiben. Fuer den Schriftsteller ist jeder neue Tag der erste Schoepfungstag - und der Schriftsteller, der sagt, er habe jetzt seine Sprache gefunden, hat sie schon verloren. Und gerade das Ja zur Welt darf nie siegesgewiss gesagt werden, es muss jeden Tag neu erlernt werden und muss zaghaft und zittrig bleiben und auch von jener innigen Ironie durchdrungen, die Handke schon den Schauspielern seines Stuecks UEber die Doerfer anempfahl. Als Peter Handke den Schluss seiner Erzaehlung Langsame Heimkehr abtippte, hatte er, wie er einem Befrager gestand, auch koerperlich die Vorstellung, dass diese zehn Seiten ein Gegenentwurf zu den letzten zehn Seiten des Romans von Kafka sind; es sei ihm aufgegangen - und nun soll Handkes Nacherzaehlung seiner Erzaehlung fuer sich sprechen, dass da eine ganz andere Weltstruktur vorgeschlagen wird, aber ganz konkret, doch genau so zittrig und jaemmerlich, und auch zugleich in der Form so gewissenhaft und ereignishaft, dass ich denke: Da muss doch jedem das Herz aufgehen - wenn er dann liest, wie Sorger sich schlafen legt in seinem seltsamen Hotelzimmer, wie er traeumt, wie er als Traeumender sozusagen die Wurzel Jesse aus dem Alten Testament nachbildet, wie er all die Personen im Verlauf seiner Erzaehlung im Traum wiedertrifft . . . wie er dann am Morgen aufsteht, bevor es noch hell wird, wie es Morgen wird, wie der Schnee von den Baeumen staubt, wie unten der Teich des Central Park von New York ganz allmaehlich andere Farben annimmt . . . wie er dann denkt: Ja, Sinn fuer die Wiederholung kriegen, hinunter zu den Leuten . . . wie er dann sozusagen wiederholt, wie er als Kind zur Kirche ging, wie dieses ungeheure Ereignis des Niederkniens stattfindet in einem Satz . . . wie er begreift, was die Symbolkraft der Wandlung in einer Messe ist . . . Und immer so weiter. Autor: AA Auswaertige Autoren Datenbank NZZ Dokumentnummer 0596110155


HANDKE'S HOME TOWN GRIFFEN & THE SEMINARY WHICH HE ATTENDED DURING THE FIRST FOUR OF HIS EIGHT HIGH SCHOOL YEARS ARE BEGINNING THE CULTURAL EXPORT & RESTAURATION ACTIVITIES AROUND OUR MAN.


KULTURINITIATIVE STIFT GRIFFEN
Der 1996 gegruendete Verein Kulturinitiative Stift Griffen verfolgt zwei Ziele: die Erhaltung und Restaurierung des Stiftes Griffen und die Errichtung eines Peter Handke und seinem Werk gewidmeten Literatur- und Lesezentrums. In der 1236 gegruendeten, von Kaiser Joseph 11. aufgehobenen Praemonstratenser-Niederlossung wurden die romanische Chorturmkirche und die dreischiffige, spaetromanische Pfeilerbasilika mit ihrer barocken Schaufassade restauriert. Durch den Einsatz des Vereins konnte dem zunehmenden Verfall des Gebaeudes Einhalt geboten werden: Das Dach wurde neu eingedeckt, die Fassaden erneuert. Im ersten Geschoss des Gebaeudes konnte eine Ausstellung ueber Leben und Werk von Peter Handke eingerichtet werden. Das Refektorium wurde instand gesetzt und stellt mit dem Kreuzgang einen attraktiven Ort fuer kulturelle Ereignisse dar. Die Ausstellung ueber Leben und Werk von Peter Handke unter dem Titel Was ich schreibe ist ja nur meine geformte Existenz ist in den Sommermonaten geoeffnet und wurde in Form einer Wanderausstellung als Kaerntens offizieller Beitrag zur EU-Praesidentschaft OEsterreichs in Bruessel und Namur gezeigt. Weitere Stationen sind Paris, Muenchen, Wien usw. Der Schriftsteller Peter Handke ist nicht nur in Griffen geboren und aufgewachsen. Diese Herkunftsgegend hat auch in seinem Werk zahlreiche und vielfaeltige Spuren hinterlassen: im ersten Roman Die Hornissen, in der Erzaehlung Wunschloses Unglueck, in Die Lehre der Sainte-Victoire, im dramatischen Gedicht UEber die Doerfer, im Gedicht an die Dauer, in der Erzaehlung Die Wiederholung, aber auch in Der kurze Brief zum langen Abschied, dem Versuch ueber die Muedigkeit, in Mein Jahr in der Niemandsbucht usw. Die in einem Katalog dokumentierte Ausstellung versammelt Fotos, Manu- und Typoskripte, Notizhefte, Briefe, Buecher, Dias und Filme, um einen Einblick in die Arbeit des Schriftstellers zu geben und um die Zusammenhaenge von Leben und Werk zu beleuchten. Im Refektorium des Stiftes wird heuer noch einmal das Projekt Ein Wortiond gezeigt. Dabei handelt es sich um eine Ton-Dia-Installation, die eine poetische Reise durch die Regionen Kaernten, Slowenien, Friaul, Istrien und Dalmatien vollzieht. Die Texte sind den Werken von Peter Handke entnommen, die Fotos stammen von Lisl Ponger. Auch diese Ausstellung wurde schon mehrfach im Ausland gezeigt und ist ein kuenstlerisches und sinnliches Dokument fuer die politische Idee eines grenzenloses Europas. Ein weiterer Programmpunkt ist ein Gastspiel des Burgtheaters Wien, das nun schon zum dritten Mal in Stift Griffen mit einem Stueck von Peter Handke auftritt, diesmal mit Kaspar unter der Regie von Philip Tiedermann. Publikationen:Was ich schreibe ist ja nur meine geformte Existenz. Peter Handke. Eine Ausstellung. Hg. Kulturinitiative Stift Griffen. ATS 180,-. Ein Wortland. Peter Handke - Lisl Ponger. Eine Reise durch Kaernten, Slowenien, Friaul, Istrien und Dalmatien. Hg. Kulturinitiative Stift Griffen. Klagenfurt: Wieser 1998. ATS 698,- (davon kommen ATS 140,- direkt der Restaurierung des Stiftes Griffen zugute). Kontakt:Kulturinitiative Stift Griffen, c/o Erwachsenenbildung, 9020 Klagenfurt, Karfreitstrasse 8/2,Tel. 0463/513546-26, Fax DW 8

e-mail: anyaddress@handke.scriptmania.com

Here the review of what looks like a delightful collection published by MANUSKRIPTE on the occasion of Handke's 60th birthday:

4. Januar 2003


Salbei und Schnuerschuhe;
Im Freundeskreis: Die Zeitschrift =Manuskripte= widmet Peter Handke ein Geburtstagsheft


Wer Schueler oder Freunde hat, darf zum sechzigsten Geburtstag mit einer Festschrift rechnen. So ist es zumindest unter Akademikern ueblich, aber Peter Handke ist kein Akademiker; und ob er ein Lehrer sein will, bleibt dahingestellt. Eines jedenfalls wird aus dem Manuskripte-Heft, das Alfred Kolleritsch, sein alter Freund und frueher Mentor, zu Handkes Geburtstag im Dezember zusammengestellt hat, gleich ersichtlich: Dieser Mann hat viele Freunde, ja er ist, so schroff und solitaer sein oeffentliches Auftreten auch manchmal wirkt, ein Kuenstler der Freundschaft. Und er war und ist fuer viele, die selbst schreiben, ein Ermutiger und Ermunterer, ein freundlicher Kritiker und strenger Lobredner.

Viele Autoren hat Handke entdeckt und gefoerdert, manch einer dankt es ihm in diesem Heft mit einer Ehrerbietung, die auch etwas Ruehrendes hat. =Spaet, oft zum letzten Zug, der zurueck faehrt in die Stadt=, berichtet Erich Wolfgang Skwara, =begleitet er den Gast zum Bahnsteig, um in der Sekunde vor der Abfahrt mit ein paar Worten oder einem UEbers-Haar-ueber-die-Wange-Fahren dem Abend letzte Leichtigkeit und letztes Gewicht zu verleihen, wie nur er es kann. = Ralf Rothmann erzaehlt eine Geschichte aus einem Pariser Cafe: wie dort eine junge deutsche Geschaeftsfrau auf einen Mann aufmerksam wird, der mit ihr auf der Terrasse sitzt: =Er trug knoechelhohe Schnuerschuhe, gut zum Wandern, eine Drillichhose mit aufgesetzten Taschen und einen gruenen Pullover, etwas fadenscheinig an den Ellbogen.= Aus der Wetterjacke haengen zwei Lesebaendchen heraus, und vor sich auf den Tisch hat der Mann einen Hut gestellt, gefuellt mit Waldpilzen. =Gelassen=, heisst es dann, =lagen die Haende auf der Armlehne des Stuhls; gross, stark und doch empfindsam, waren es die eines Liebhabers.= Was ist das? Eine Liebeserklaerung? Irgendwie scheint es unmoeglich, von Peter Handke, wenn man ihn erst einmal kennen gelernt hat, nicht hingerissen zu sein. Dieser Mann hat Charisma, aber er moechte von seiner Gabe selten Gebrauch machen. Er wirkt anziehend, obwohl er gern alle Welt vor den Kopf stoesst.

Handke-Kritiker kommen in diesem Manuskripte-Heft nicht zu Wort. Hier haben sich Nahestehende versammelt: sein Lektor, einige seiner UEbersetzer, Weggefaehrten aus fruehen Grazer Tagen, die Freunde aus der Jury des Petrarca-Preises, daneben aber auch Stimmen, die nicht dem Handke-Umfeld zuzurechnen sind, etwa Elfriede Jelinek, die an Handke preist, was ihr selbst fremd ist. Man findet persoenliche Reminiszenzen neben kritischen Abhandlungen und Gedichte neben Schnappschuessen. Anselm Kiefer hat auf dem Titelbild ein =Sternenlager fuer Peter Handke= aufgeschlagen, Hubert Burda, Verfechter des =Iconic Turn=, Bilder vom gemeinsamen Besuch in der Sierra de Gredos eingesandt und Isolde Ohlbaum einen kleinen Handke-Fotokalender von 1975 bis 2002 beigesteuert. Das sumerische Epos =Inannas Gang in die Unterwelt=, der vermutlich aelteste ueberlieferte Text der Weltliteratur, bildet den Abschluss und sorgt fuer die Gegenwart der Ewigkeit.

Das Angenehme und Verbindende an den meisten Beitraegen ist, dass sie eher darauf aus sind, Handke zu ruehmen als seine Kritiker zu schmaehen. Es fehlen zum Glueck die Sekundanten, die mit braver Wut Handkes Tiraden gegen die Nato oder die Medien reproduzieren.

Ein ebenso schoener wie spitzfindiger Beitrag kommt von Jochen Hoerisch, dem Germanisten und Kritiker. =Peter Handke als Autor und Medium=, heisst der Text, in dem Hoerisch Handkes Faehigkeit beschreibt, so =prae-autoritaer, tagtraumartig und vorbewusst=, also im Wortsinne medial zu schreiben, dass sich die Autor-Intention aus seiner Sprache fast vollstaendig verfluechtigt. Und was waere demnach die mediale Botschaft von Handkes jugoslawischen Interventionen? Auch hierauf weiss Hoerisch eine Antwort: Als Medium, nicht als Autor, hat Handke ueber Serbien geschrieben. Als Medium habe Handke sogar =ein ausschlaggebendes Serbien-kritisches Buch vorgelegt, das zeigt, was die nicht beobachten koennen, die sich selbst ausschliesslich als Opfer beobachten und die ernsthaft glauben, man mache die eigene Sache staerker, wenn man ausschliesslich fuer die eigene Sache optiert=.

So, das muessen wir zugeben, haben wir die Sache bisher noch nicht gesehen. Und wie verhaelt es sich mit der von Handke geforderten =Gerechtigkeit fuer Serbien=? Kann ein Medium ueberhaupt fuer Gerechtigkeit plaedieren? Wenn es so waere, dass Handke gar nichts weiter wollte als auch die serbische Seite der ganzen jugoslawischen Wahrheit zur Beobachtung frei zu geben, dann haette er sich den Schaum vor seinem Mund auch sparen koennen. Es war aber der Schaum vor dem Mund des Autors und nicht vor dem des Mediums, und deshalb fuehren Hoerischs listige Gedanken am problematischen Kern von Handkes Engagement (gezielt?) vorbei.

Auf andere Weise erhellend ist der Aufsatz des Grazer Philosophen Peter Strasser =Sich mit dem Salbei freuen=. Er schreibt davon, wie ihn seinerzeit Handkes =in der fuer ihn typischen Mischung aus Bockigkeit, Charme und Angriffslust= vorgetragene Schlaege gegen den kritischen Realismus der Vaetergeneration beeindruckt haben. =UEberall war Post-Auschwitz=, und manch einer hat Peter Handke (wie dem Botho Strauss von =Paare, Passanten=) die Abkehr von der Kritischen Theorie bis heute nicht verziehen. =Sich mit dem Salbei freuen=, das hat vor dem Hintergrund der Ideologiekritik schon etwas stark Unbotmaessiges. Aber er ist, wie Strasser zeigt, eben kein mimetischer, sondern ein =projektiver Dichter=. Keiner, dem man unter allen Umstaenden und ueberallhin folgen kann und will, aber einer, der, anders als die mimetischen Dichter, ueberhaupt eine Richtung einschlaegt.

UEber manche =Aspekte der Welt= - Politik, Gesellschaft, Medien - wird man von Peter Handke, so Strasser, nicht informiert - =weil sie dem Idealismus dieses Werks - seiner Gestimmtheit - nicht assimilierbar sind=. Soll der projektive Dichter dann nicht lieber von der Politik schweigen und lieber in die Pilze gehen? An dieser Frage werden sich noch laenger die Geister scheiden. Den Mann am Nebentisch, den mit den Schnuerschuhen und der Drillichhose, wird das nicht beirren.

CHRISTOPH BARTMANN

MANUSKRIPTE. Zeitschrift fuer Literatur. Dezember 2002. Peter Handke zum 60. Geburtstag. 14 Euro.


Handke-Tagebuch:


Von Rainer Moritz (Spectrum) 29.07.2005 10:32
 
Eine Schatztruhe, wieder einmal: =Gestern unterwegs=, Peter Handkes Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1987 bis 1990 - vom Kampf gegen die Saekularisierung des Poetischen.
 
 
 
Als Peter Handke 1977 mit dem =Gewicht der Welt= begann, Einblick in seine Journale zu gewaehren, zeigte sich rasch, dass seine Form der Weltaufnahme und Selbstkommentierung das Genre =Tagebuch= auf erstaunliche Art bereichern wuerde. Drei weitere Baende folgten, unterschiedlichen Auswahlprinzipien folgend und in unterschiedlichem Abstand zum Schreibzeitpunkt publiziert. =Gestern unterwegs=, der neue Band, greift diesen Faden auf und umfasst die Jahre 1987 bis 1990. Damit sei, so Handke im Vorwort, die =letzte Phase= seines =Mit-Schreibens mit den taeglichen und naechtlichen Geschehnissen= erreicht, da er diese Art des Journals danach nicht weitergefuehrt habe.
 


In vielen Aspekten knuepft =Gestern unterwegs= an vertraute Themen und Motive der Handkeschen Weltpoetisierung an. Die meist kurzen, oft subjektlosen Notate begleiten Werke, die parallel entstanden (wie =Versuch ueber die Muedigkeit=), oder versammeln Eindruecke, die Jahre spaeter in die Romane =Mein Jahr in der Niemandsbucht= und =Der Bildverlust= muendeten. So ist das Tagebuch eine Moeglichkeit, sich ueber aesthetische und erkenntnistheoretische Anschauungen zu verstaendigen - als Fahrtenbuch des Schreibens, das indes nie losgeloest ist von dem, was der Reisende Handke begierig an sinnlichen Erfahrungen aufnimmt. Peter Handke war, nach seiner Salzburger Zeit, viel unterwegs in jenen Jahren. Getrieben vom Impuls, andernorts seine =Heimat zu suchen=, bricht er nach Slowenien, Griechenland, Spanien, Italien oder Portugal auf und laesst sich, bei seinen Fussmaerschen oder Busfahrten, unverdrossen auf jedes Detail ein, das sich ihm entgegenstellt. Die unablaessigen Expeditionen durch Europa erlauben die Losloesung von oesterreich, von dem Land, das Handke nur mehr resigniert aus den Augenwinkeln verfolgt. War im =Gewicht der Welt= noch mit Schaerfe (etwa in dem viel zitierten Satz =Das Fette, an dem ich wuerge: oesterreich=) das Elend des bornierten Heimatlandes beklagt worden, so finden sich in den neuen Aufzeichnungen nur noch wenige Einsprengsel, die dieses Dilemma als aufschreibenswuerdig erachten: =Das Problem ,Deutschland' ist befruchtend; das Problem ,oesterreich' dagegen nicht - nicht mehr - war es nicht einmal mehr bei Hofmannsthal?=


Ohnehin spielt die Tagespolitik in =Gestern unterwegs= kaum eine Rolle. Mit laessiger Geste wird selbst eine Zaesur wie der Fall der Berliner Mauer uebergangen; im Umfeld dieses Datums findet sich lediglich eine Agenturmeldung von maessiger historischer Relevanz: =Zum ersten Mal seit dem 31. Dezember 1970 wird seit dem gestrigen 8. November wieder die Sonnenscheindauer der DDR regelmaessig verbreitet.= Mehr ist dazu, so scheint es, nicht zu sagen.

An die Stelle aktueller politischer Kommentierung tritt eine weit gefasste Kritik an der modernen Zivilisation, von der sich der Solitaer Handke partout nicht vereinnahmen lassen will. Seit vielen Jahren fuehrt er einen beeindruckenden Kampf gegen die Saekularisierung des Poetischen. Handke sucht nach Epiphanien, die ein jaehes Einswerden mit der Wirklichkeit erlauben. Dass diese Momente der Erfuellung nicht andauern, ist fuer den notorischen Glueckssucher eine Selbstverstaendlichkeit: =Der Glueckliche und die Zeit: sein Problem wird die Zukunft: Wie wird es nun weitergehen, auch nur in der naechsten Stunde. Aber vielleicht gehoert eben zum Gluecklichsein, dass jedes Vorausdenken wegfaellt.=


Handke hat grosses Zutrauen in seine Faehigkeit, die Wirklichkeit fuer solche Erfahrungen durchscheinend zu machen. Er findet sie in Karstlandschaften, in Kirchen oder selbst im Grossstadttreiben von Paris, wo die =Dinge, die Strassen, das Wasser stroemend im Rinnstein, die Baeume, die Zuege ,richtig da'= seien - anders als in Berlin oder Wien, wo ihn die Vorstellung ueberfaellt, =als seien sogar die Baeume und die Voegel Gefangene=. Man mag diese Sehnsucht nach unverstellten Wahrnehmungen - ein alter Vorwurf an Peter Handkes Adresse - als epigonal oder naiv abtun; wer diese Tagebuchprosa unvoreingenommen liest, wird freilich nicht leugnen koennen, dass sie gerade durch ihre Beharrlichkeit der Introspektion Bezwingendes an sich hat.


Der Akt des Sehens, des Anschauens ist Handkes Methode, seine Recherche zu einem - voruebergehenden - gluecklichen Ende zu fuehren. Wer in der Lage ist, die Dinge lange genug beharrlich anzusehen, hat begonnen, ueber die Dinge nachzudenken, und wer denken will, muss ueber Sprache reflektieren. Wieder und wieder sucht Handke nach neuen Verben, die den Zustaenden angemessen sind; wieder und wieder kaempft er um Begriffe (wie =Treuherzigkeit=), deren Schoenheit durch den Sprachgebrauch verdorben scheint. Auf seinem Weg sucht und findet Handke Weggefaehrten, Denker und Dichter wie René Char, Nicolas Born, Hermann Lenz oder Ludwig Wittgenstein (=das Hoechste an oesterreichertum=), deren ueberlegungen Bausteine seiner eigenen Weltkonstruktion sind. Mitunter fuehrt diese Sehnsucht nach uebereinstimmung zu Verklaerungen, die nicht woertlich zu nehmen sind. Wenn die Romanik etwa, deren Bauformen eine wichtige Rolle spielen, als =tiefes, begeistertes, allgemeines, inbruenstiges Insichgehen= gepriesen wird, dient dies nicht der historischen Rekonstruktion einer Epoche, sondern der bildhaften Sehnsucht nach Verschmelzung mit der Vergangenheit.


Peter Handkes Journal meidet die Ich-Form nicht, doch es geizt mit Einblicken in das vermeintliche Innenleben des Schriftstellers. Das Ich interessiert vor allem als Wahrnehmungsfokus, und wenn aus diesen Wahrnehmungen Literatur wird, scheut Handke Bilder, die den Schreibakt zu persoenlich und zu handwerklich sehen. =Inspiration= wird zu einem unwillentlichen =Es gestaltet sich=, und das =Tuefteln= als Erzaehlweise hat einem gleichsam selbstschoepferischen Akt zu weichen: =nur die Woerter ihren Platz einnehmen lassen, in der Taktfolge= - ein Prozess, der sich schwerlich in =Creative-writing=-Kursen erlernen laesst.


Peter Handkes neues Tagebuch ist, wieder einmal, eine Fundgrube, eine Schatztruhe. Die Offenheit der Tagebuchstruktur macht den grossen Reiz von =Gestern unterwegs= aus und hebt es von Handkes Grossromanen wie dem =Bildverlust= ab, deren Bemuehen, die Einsichten des Tagebuchschreibers um jeden Preis episch umzusetzen, oft Gestelztes und Gewaltsames anhaftet. Die Tagebuecher brauchen diese Kraftanstrengung nicht zu leisten, und vielleicht zaehlen sie deshalb zum Bedeutendsten, was Peter Handke geschrieben hat.

Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. 554 S., geb., € 25 (Jung und Jun

Ruediger Dannemann

Reisender durch die Niemandsbucht   
 
 
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 ERKENNTNISTRINKER Zum 60. Geburtstag von Peter Handke

Wenn Peter Handke in diesen Tagen sechzig Jahre wird, duerfte man Zeuge eines vertrauten Rituals des hiesigen Feuilletons werden. Die Vorreiter von Aufklaerung und Entertainment werden sich an dem ehemaligen Liebling der literarischen Musen und Geschaeftsleute abarbeiten. Nur die dem Literaturpapst abtruennigen Anhaenger unabhaengiger Kritik werden einigermassen wirkungsvoll Widerspruch einlegen - aber alles im Rahmen der Usancen des Betriebs, versteht sich. Arte wird nicht einen Themenabend, aber immerhin eine mitternaechtliche Dokumentation senden (Titel: Der schwermuetige Spieler), und in Klagenfurt haben bereits der gerade mit der Ehrendoktorwuerde ausgezeichnete Jubilar und seine Exegeten zu den Klaengen der von Amina Handke aufgelegten Musik getanzt. Eine kleine Klassizitaet wird dem oesterreichischen Schriftsteller zugestanden werden, dem Urheber der angenehm provokativen Publikumsbeschimpfung, mit der er Theatergeschichte schrieb. Dem Autor der sprachphilosophischen Tormanngeschichte oder der Erzaehlung vom Selbstmord der eigenen Mutter, der Handke den Titel Wunschloses Unglueck gab.

Sehr viel interessanter waere es jedoch, den Spuren des Autors einer Generation nachzugehen, der vom ersten Pop-Star der deutschen Literatur zum renommierten Nischen-Autor geworden ist. Verfolgt man diese Spur, wird man gewahr, was in den vergangenen fast vier Jahrzehnten passiert ist. Wenig ueberraschend ist, dass Handke in den Sechzigern schnell zum Shooting Star der Szene avancierte. Oft ist beschrieben worden, wie professionell Handke und mehr noch sein Verlag und sein Lektor den Erfolg planten, begleiteten und vermarkteten. Tatsaechlich lassen die Reminiszenzen an Handkes fruehe Literatur-Happenings die Stuckrad-Barres und Rainald Goetzes unserer Tage bei allem Bemuehen um skandalumwitterte Initiation als blasse Epigonen dastehen. Nicht ohne Zustimmung betrachtet man heute die Fotos, die Peter Handke, den homo novus der Literatur, zeigen, wie er seiner Mutter voller Stolz die Fotos der Boulevardpresse von seinen Literatur-Events praesentiert.

aehnlich wie Wim Wenders, der spaetere Taufpate von Handkes Tochter Leocardie, in seinen fruehen Filmen artikulierte Handke den Lauf der Zeit in der notwendigen, die Medialitaet (hier der filmischen, dort der literarischen Sprache) reflexiv einholenden Art. So konnten selbst exotische Titel wie Der Hausierer oder Das Ende des Flanierens zu Erfolgen werden. Die Grossprojekte wie Handkes Kaspar oder Der kurze Brief zum langen Abschied wurden so selbstverstaendlich Meilensteine einer ihr Bewusstsein bildenden Generation wie Dylans Blonde On Blonde oder Adornos Negative Dialektik.

Spricht man heute mit Universitaetsprofessoren oder normalen Lesern ueber Handke, so begegnet man fast immer der reservierten Auskunft, man habe lange nichts mehr von dem frueheren Idol (griechisch: eidolon, deutsch: Schatten-, Trugbild auch Nachbildung, Goetzenbild), gelesen, erinnere sich aber doch gern an dessen Anfaenge. Die Generation des heutigen Aussenministers, laengst in der Realitaet angekommen, allen Risiken, gar Anstrengungen utopischen Denkens abhold, kann mit dem Eigensinn des spaeteren Handke nur noch wenig anfangen. Natuerlich liegt dies auch an dem Urheber. Handkes medieneffektive Flirts mit der Bunten koennen auch dem Enthusiasten auf den Nerv gehen. Viel wichtiger und tatsaechlich aufschlussreich ist aber die Beobachtung, wie eindrucksvoll sich der ewige Reiseschriftsteller Handke - und ein solcher ist der Autor in mehr als einer Hinsicht - von seinen Generationsgefaehrten entfremdet hat.

Der Handke- Biograph Georg Pichler, dessen Buch, nach Adolf Haslingers Studie ueber die Jugend eines Schriftstellers (1992) eine weitere Vorstudie zu der noch immer ausstehenden grossen Handke-Biographie, kurioserweise nicht bei Suhrkamp, sondern im Ueberreuter Verlag publiziert wurde, merkt an, dass Alfred Kolleritsch Handke einen =Erkenntnistrinker= nennt, also einen Menschen, der versucht, =das eigene Leben von Redewendungen, Meinungen und Vergleichen freizubekommen=. Durch diese festsitzende Attituede hat sich Peter Handke Schritt um Schritt von seinen Altersgenossen separiert und sich bei ihnen verdaechtig gemacht. In seinem Spaetwerk hat Handke ein unverwechselbares, ganz eigentuemliches Universum geschaffen, das keineswegs durch die Epitheta der einflussreichen Handke-Hasser zu erfassen ist. Handke ist nicht der pseudoreligioese Protagonist einer neostifterianischen Beschreibungsliteratur mit leichtem Hermann-Loens-Beigeschmack, seine Beschreibungen der Niemandsbuchten der (Post-)Moderne sind in ihrer Luziditaet paradigmatisch.

Ohne jegliche Sentimentalitaet formuliert die 1981 erschienene Kindergeschichte die Konturen gegenwaertiger Grenzen wie die Beglueckungen des Zusammenlebens eines lebendigen (maennlichen) Erwachsenen mit seinem Kind (einer Tochter). Seine Schilderung der Geschlechterproblematik uebertrifft die Peter Schneiders in dessen Berlin-Romanen bei weitem. Und Handke ist ein Essayist von Rang. Seine Versuche ueber die Muedigkeit, den geglueckten Tag und die Jukebox sind keine Marginalien, es handelt sich um Sternstunden eines Genres, das, Georg Lukacs zufolge, unserer Modernitaet weit mehr als andere angemessen ist. Handke hat die Befindlichkeit unserer Postmoderne in seinen unentdeckten Meisterwerken Die Wiederholung und Mein Jahr in der Niemandsbucht auf den Begriff gebracht. Dass der kommerzielle und rezeptionsaesthetische Erfolg weithin ausblieb, ist ihm nicht anzurechnenden. Heutzutage und hierzulande haette auch Peter Weiss mit seiner aesthetik des Widerstands nicht mehr die Spur einer Chance.

Es ist kein Zufall, dass Handkes Werk Gegenstand einer ganzen Reihe glaenzender germanistisch-literaturwissenschaftlicher Arbeiten geworden ist. Unverstaendlicherweise sind die journalistischen Koryphaeen hierzulande an den Resultaten dieser analytischen Anstrengungen vorbeigegangen. So haben sie sich der Einsichten in die Utopie einer anderen Zeit, in die Strukturen von Epiphanie und Ploetzlichkeit, kurz: in eine sehr spezifische Fassung der Aporien der Romantik beraubt. Ein Modus selbstgewaehlter intellektueller Kastration, der dann die erzaehlte Poetik der Lehre der Sainte-Victoire ebenso unverstaendlich werden laesst wie des Autors Wandel von der aesthetischen Utopie zu einer Utopie des aesthetischen..

Guenter Grass wurde kuerzlich vom Bundespraesidenten und unserem Kanzler gepriesen. Peter Handke ehrt es, nicht zum Staatspoeten zu taugen. Er, der Muendliches und Schriftliches (so der Titel des gerade erschienenen Sammelbandes zu Buechern, Bildern und Filmen) in unverwechselbarer Identitaet, ja Eigenart zu artikulieren vermag, der enthusiastisch wie kein Generationsgenosse von den Wonnen der populaeren Musik zu schreiben verstand, ist anstoessig geblieben, und das nicht nur in seinen Auslassungen zum Konflikt im frueheren Jugoslawien. In jungen Jahren hat sich Handke mit dem damals unantastbaren Bert Brecht angelegt (etwa in seiner Rede zum Buechner-Preis mit dem Titel Die Geborgenheit unter der Schaedeldecke). Heute tut er dies mit den hiesigen Grosskritikern wie den Repraesentanten des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Eine solche Chuzpe verbluefft. Thomas Steinfeld hat auf die Verwandtschaft von Dylan und Handke verwiesen: Im Schreiben und Singen dem Publikum (und den Kritikern sowieso) den Ruecken zuzuwenden, mag als die einzige Attituede verbleiben, die noch die Chance eroeffnet, Spuren von Authentizitaet zu bewahren. Handkes politische Beitraege sind brisant nicht wegen ihrer Parteilichkeit, sie verstoeren, weil sich der Polemiker nicht an die Regelkreise der eingespielten Diskurse haelt. Handke raesoniert nicht ueber eine domestizierte Medienethik, er attackiert ihre Grundlagen. Insofern setzt der spaete politische Schriftsteller durchaus jene Tradition fort, die der dekonstruktivistische Jungautor betrieb, laengst bevor der Dekonstruktivismus zur postmodernen Mode verkam.

Wenn 2003 in Wien anlaesslich der Wiener Festwochen Handkes neues Stueck Untertagblues, ein Stationendrama, aufgefuehrt wird, inszeniert von Luc Bondy, und wenn Bruno Ganz am Burgtheater in Handkes neuer uebersetzung des oedipus die Titelrolle spielt, wird Gelegenheit sein, den Popstar-Status des Autors zu ueberpruefen. Handke hat ein unverbrauchtes Pathos zu rehabilitieren und die Sprache der Epiphanien wieder zu entdecken versucht. Indem er sich dem dominierenden Diskurs so widersetzt, dass die Irritationen der Etablierten den Provokateur immer noch populaer werden lassen, erweist er sich tatsaechlich als Popstar der Literatur. Denn was fuer einer er auch immer sein mag - der Popstar muss Mut zur Wahrheit haben. Georg Pichler titelt seine Handke-Biographie Die Beschreibung des Gluecks nicht ohne Grund und doch nicht besonders gluecklich. Denn Peter Handke bleibt Zeitgenosse, insofern er wieder und wieder verspuert, =dass er jetzt erst wirklich aufgebrochen war von dort, wo er herkam=. Auf der Suche nach den Bildern, die - wie er sich und uns in der Regel glaubhaft versichert - noch nicht am Ende sind.

Georg Pichler: Die Beschreibung des Gluecks. Peter Handke. Eine Biographie. Verlag C.Ueberreuter Wien 2002, 207 S., 19,90 EUR
Peter Handke: Muendliches und Schriftliches. Zu Buechern, Bildern und Filmen 1992-2002. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2002, 165 S., 19,90 EUR
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=Das Handwerk des Berichtens=
Die Medienkritiker Handke und Gstrein als Balkan-Kundschafter
Jay Julian Rosellini

Das Wort =Balkan= hat keinen guten Klang. Damit assoziiert man seit dem fruehen 20. Jahrhundert die =Balkanisierung=, laut Duden =staatlich zersplittern und in verworrene politische Verhaeltnisse bringen=.[1] Dabei wird =Balkan= oft ungenau verwendet, wie z.B. im Titel dieser Arbeit oder in der Frankfurter Rundschau, die saemtliche Artikel zur Krise auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien unter der Rubrik =Pulverfass Balkan= sammelt. Die Westeuropaeer bzw. Beobachter Westeuropas halten meist alles suedlich bzw. suedoestlich vom oesterreichischen Bundesland Kaernten fuer den Balkan, obwohl Teile von Slowenien, Kroatien und Serbien geographisch gesehen eigentlich nicht dazu gehoeren. Im Alltagssprachgebrauch der oesterreicher werden die Bewohner der Gebiete jenseits der Karawanken, besonders die Jugoslawen (wie man frueher sagte) gelegentlich als =Tschuschen= bezeichnet. Dieser Ausdruck war laut Slavko Ninic, Gruender der multikulturellen Musikgruppe „Wiener Tschuschenkapelle=, „eines der grauslichsten, fremdenfeindlichsten Schimpfwoerter= im oesterreich der siebziger Jahre.[2] Es war wohl nicht zuletzt die Fremdenfeindlichkeit und Arroganz, die hinter einer solchen Redeweise stecken, die den Kaerntner Peter Handke und den Tiroler Norbert Gstrein dazu motiviert haben, ihrer schriftstellerischen Arbeit zunaechst zeitweise, schliesslich regelmaessig im Ausland nachzugehen. Es laege nahe, die im Folgenden zu besprechenden Werke der beiden Autoren zumindest teilweise als Wiedergutmachung aufzufassen. Noch in den 80er Jahren meinte nur ein Prozent der oesterreicher, Jugoslawien sei dem eigenen Land aehnlich.[3]

In den Kriegsjahren 1995/96 reiste Peter Handke nach Jugoslawien, und die Auseinandersetzung um seine beiden Reiseberichte[4] erhitzte monatelang die Gemueter und fuellte die Feuilletonseiten der Zeitungen. Dies waere sicher nicht der Fall gewesen, wenn Handke =Gerechtigkeit fuer Bosnien= gefordert haette, statt =Gerechtigkeit fuer Serbien=. Als selbsternannter Anwalt des serbischen Volkes stand der zuvor eher als unpolitisch geltender, wenn auch irgendwie 'progressiver' Autor, allein auf weiter Flur. Das heisst allerdings nicht, dass das Gros der Linksintellektuellen gegen die Serben Partei ergriff, auch wenn es Handke so wahrnimmt. Gestalten wie Bernard-Henri Lévy, André Glucksmann, Susan Sontag oder Peter Schneider waren eher Ausnahmeerscheinungen.[5] Handke musste auf Lesereisen mit soviel Kritik und Aggression fertig werden, dass man kaum erwarten konnte, dass er sich noch einmal ausfuehrlich zu diesem Thema aeussern wuerde. Genau das ist aber passiert, und zwar zunaechst im Jahr 2000 mit der Veroeffentlichung des Bandes Unter Traenen fragend. Nachtraegliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, Maerz und April 1999.[6] Wessen Traenen waren gemeint? Waren Einkehr und Laeuterung zu erwarten? Nach der Lektuere weiss man, dass Ersteres erfolgt ist, das Letztere eher nicht.


Wie in den ersten beiden Baenden will Handke im Grunde weder eine politische Analyse vornehmen noch Tatsachen liefern. Das ist bereits im Vorwort deutlich, wo er vom =bekriegten Jugoslawien= spricht (3). Ihm geht es wieder um Details, die Menschen ohne poetische Wahrnehmungsweise verborgen bleiben wuerden - Details uebrigens, die man in den westeuropaeischen Blaettern kaum vorfinden wuerde. Ein paar Beispiele koennen dieses Vorgehen veranschaulichen. Wo andere Bauernhoefe sehen, erschaut Handke =die maerchenkraeftig verschachtelten, obstbaum- und gartenumsaeumten pannonischen Einzelgehoefte= (29). Nahe der Autobahn nach Belgrad passiert Folgendes: =Notdurftverrichten in einem Abfallwaeldchen des Zwickels, wo der Weissdorn blueht ... spaeter ... im oestlichen Huegellandserbien ein das ganze Land durchziehendes Hochweiss.= (34) Beim Mittagessen im Haus einer alten Partisanin bewundert er =die frischen, noch fruehlingshaft kleinknolligen Zwiebelchen und das sonstige Junggemuese=. (100) Alte Bekannten wie der =erztrueb[e] Eigenbauwein= (63) oder die =andersgelben serbischen Nudelneste[r]= (50) tauchen auch wieder auf. In Reisefuehrern à la Lonely Planet waeren solche Motive durchaus am Platze, aber welchem Zweck dienen sie zu Kriegszeiten?


Der Schluessel zum Verstaendnis dieser Erzaehltechnik ist vor allem bei Handkes fortgesetzter Polemik gegen westliche Zeitungen zu finden. Fuer ihn sind sie =europaeische Kriegszeitungen= (11), die vorgeben, die Wahrheit zu drucken, waehrend sie eigentlich Teil des Angriffs auf das alte Jugoslawien sind. Charakteristisch ist die Formulierung =ein[e] ehemalig[e] europaeisch[e] Zeitung= (65).[7] Dies setzt voraus, dass Handke frueher mit der Berichterstattung einigermassen zufrieden war, was im Hinblick auf die Jahre zwischen Vietnam und Waldheim doch etwas erstaunt. Gegen die Daemonisierung der Serben, wie er sie sieht, setzt er Portraets von sympathischen Einzelmenschen. Ein Diplomat, der als Bauernsohn anfing und spaeter sein Land in Paris vertritt, hat =sehr dunkle glaenzende mandelfoermige Augen der byzantinischen Freskenleute von Ohrid, De_ani, Pe_ ...= (10) Der Leser soll offensichtlich begreifen, dass Serbien eine altehrwuerdige Kulturnation ist, was ja kaum abzustreiten ist. Boris Iljenko, der Direktor des Jugoslawischen Kulturinstituts in Paris, spricht Franzoesisch und =halb- oder viertelwegs= Deutsch und Englisch; die Bombardierung seiner Heimat macht ihn allerdings unfaehig, diese Fremdsprachen zu sprechen.[8] Mit anderen Worten: Die europaeischen Serben werden aus der europaeischen Kulturgemeinschaft hinausbombardiert. Ein Zimmermaedchen in einem Belgrader Hotel sagt dem Gast Handke =Hvala!=, d.h. =Danke!= - nicht fuer ein Trinkgeld, sondern fuer =das Wort, das ich fuer sie und ihr Land, fuer ihr Land und sie, eingelegt haette= (59). (In charakteristischer Manier macht der Bedankte nie deutlich, um was fuer ein =Wort= es sich dabei handelt: Rueckendeckung fuer Milo_evi_ ist mit Solidaritaetsbekundungen fuer die unter dem Bombenkrieg leidenden serbischen Zivilisten nicht gleichzusetzen.) Handke schwaermt von einem Volk, das sich von der Elite bis zur Arbeiterklasse seine Worte =zu eigen gemacht= habe, =wie ich mir das bei etwas von mir Geschriebenem nie haette traeumen lassen= (59). Dem Autor gefaellt es offenbar, dass das Amt des Dichters als 'Seher' und 'Prophet', anders als in Westeuropa, hier noch bekleidet werden kann. Angst und Trauer sind eingegraben in das Gesicht der alten Malerin Oja, die befuerchtet, dass 'ihre' Bruecke ueber die Sava gesprengt wird. (147) Schliesslich lernen wir eine aerztin kennen (=eine schoene, staedtische Frau=), die in einem Dorf in der Vojvodina Krebspatienten behandelt. Es sind ihre Traenen, auf die sich der Titel des Buches bezieht. Diese kosmopolitische Frau, die weit gereist ist (auch in die USA), ist angesichts der Bomben fassungslos. Handke betont, dass sie aber nicht =empoert= sei, und sie stellt die Frage, die Handke selbst haette stellen sollen: =Ja, sind wir denn wirklich so schuldig?= (154) Handke und seine Mitreisenden werden dazu aufgefordert, diese Frage zu beantworten, aber es kommt nicht dazu.[9] Statt dessen bemerkt der Autor, diese Frau, =unter Traenen FRAGEND=, waere =Thema fuer einen Bildhauer=! Frueher bezeichnete man so etwas, in einem ganz anderen Zusammenhang, als =aesthetisierung der Politik=.


Die Schuldfrage bleibt trotzdem im Raum, aber nicht mit Bezug auf die Serben. Hauptanliegen von Handkes Bemuehungen ist das Artikulieren von Hass auf die Aggressoren. Der so genannte Kosovo-Krieg ist bis heute umstritten: Fuer die einen war er eine humanitaere Intervention, fuer die anderen ein hegemonialer Zugriff mitsamt Bruch des Voelkerrechts.[10] Handke fuer seinen Teil kann nichts Humanitaeres entdecken, und er scheut sich nicht vor extremen Formulierungen: Es handele sich um einen =Weltkrieg= gegen Jugoslawien (14), einen =Totalkrieg der NATO= (119) und im Endeffekt - das Wort =total= legt es ja nahe - eine =faschistisch[e] Aggression der NATO=.[11] Eine solche Ausdrucksweise legt eine Schicht in Handkes Denken frei, die fast alles mitbestimmt, naemlich eine andauernde Beschaeftigung mit NS-Zeit und Holocaust. Nicht umsonst tauchen Hinweise auf deutsche und oesterreichische Kriegsverbrechen auf. Als das =gebombte Kragujevac= im jugoslawischen Fernsehen gezeigt wird, lautet der Kommentar: =...wo im Zweiten Weltkrieg die Deutschen, als Vergeltung fuer Partisanenangriffe, die grosse Massenerschiessung der halbwuechsigen Schueler veranstaltet hatten.= (30) Bei einem Abstecher nach Sabac bemerkt Handke: =Sabac ist im 1. und im 2. Weltkrieg von den oesterreichern bzw. den Deutschen zerstoert worden, samt Vernichtung vieler Bewohner.= (113) Die obenerwaehnte alte Partisanin zeigt die Narbe ihrer alten Schussverletzung: =... ein Teil des Arms von der 3.-Reich-Kugel wie aufgefressen ...= (99) Handke, dessen Grossvater muetterlicherseits slowenischer Abstammung war,[12] hat schon vor Jahren beteuert, er fuehle sich als Jugoslawe, und nun teilt er seinen Lesern mit: =[I]n diesem von allen Kriegshunden gehetzten Land bin ich nicht fehl am Platz.= (114) Man kann vermuten, was dahinter steckt: Eine Art und Weise, die nationalsozialistische Vergangenheit zu bewaeltigen, besteht darin, sich als nicht mehr dazugehoerig zu erklaeren. Handke hat jahrelang daran gearbeitet, eine andere Identitaet aufzubauen, und nun muss er erleben, dass das Jugoslawien, das er eher ertraeumt als erwandert hatte, von der Landkarte verschwindet. In den Einzelrepubliken, die nach der Aufloesung entstanden sind, ist eher ethnische Zugehoerigkeit als multikulturelle (nicht-deutsche) Selbstmodellierung gefragt. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass die Supermacht, die angeblich das schoene 'Traumland'[13] zerstueckelte, vehement angeklagt wird. Die Vehemenz ruehrt zum Teil von daher, dass Handke wohl eine Zeitlang glaubte, in den Vereinigten Staaten seiner Herkunft zu entkommen. Sogar in Unter Traenen fragend werden der Filmregisseur John Ford[14] und der Diplomat Richard Holbrooke gelobt. Das geschieht allerdings nebenbei, denn hier sind es =amerikanische Desperados=, die mit den ='Europaeern'= (die Anfuehrungszeichen werden nicht zufaellig verwendet) =Menschenorte= in Flammen schiessen (33). Der Erzaehler laesst seinen Freund Zlatko die klassische Imperialismuskritik so formulieren: =Zuerst haben sie die Apachen ausgerottet, und dann nennen sie ihre Luftkiller nach dem von ihnen ausgerotteten Volk.= (27) Deutsche Stimmen sind =fett=, franzoesische =hoefisch-verlogen=, aber am schlimmsten sind die =den Raum (bis in die hintersten Winkel des Planetensystems) verdraengende[n] amerikanische[n] Stimmen, das Schnarrschnattern Donald Ducks zu dem von Menschenjaegern mutiert=. (27) Goebbels' 'totaler' Krieg verblasst gegenueber einem mit modernster Ruestungstechnik ausgestattetem Arsenal, das ein =Von-der-Er[d]oberflaeche -Wegteufeln eines ganzen Landes, mehr, eines ganzen Erd-Teils= ermoeglicht. (118) Einziger Trost: Handke hofft, dass die serbische Jugend nicht mehr gebannt auf US-amerikanische Produkte und Massenkultur starren wird.[15]


Wenn Handke davon ueberzeugt ist, dass die kriegerischen Aktionen der USA den =Traum von der Geschichte als Utopie= (136), das grosse Aufklaerungsprojekt[16] also, endgueltig zerstoert haben, so liegt es nahe, die diesbezuegliche Trauerarbeit in einem Werk ueber den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fortzusetzen. Diese Institution, die aus Handkes Sicht ein Instrument der US-Hegemonie ist (trotz der Mitarbeit europaeischer Handlanger), soll durch den Prozess gegen Slobodan Milosevic und andere das Ende Jugoslawiens ein fuer alle mal besiegeln. Im schmalen Baendchen Rund um das grosse Tribunal[17] kommentiert er dieses Unternehmen als Prozessbeobachter. Gewidmet ist das Werk dem Andenken an Boris Iljenko (vgl. oben), =mit dem ich im Oktober 1995 zum ersten Mal zum Manastir Studenica kam= (6). Diese Widmung ist ein Signal, denn das serbische Kloster Studenica, mit schoenen Kirchenbauten im romanisch-byzantinischen Stil aus dem 13.-14. Jahrhundert, gehoert zum europaeischen Kulturerbe, waehrend das benachbarte Kloster Zi_a nicht nur von kulturellem, sondern auch von politischem Interesse ist, da die serbischen Koenige einst dort gekroent wurden. Fuer Handke ist auch und vor allem die serbische Kultur auf der Anklagebank.


Diesmal holt Handke weit aus, ehe er zur Sache kommt. Wir erfahren, dass er in der Jugend =ein begeisterter Gerichts- und Gefaengnisbesucher= war. der sich alle Filme mit Schauplatz Gerichtsaal oder Zuchthaus ansah. (10) Angetan hatten es ihm vor allem die Angeklagten in diesen Filmen, die in der Regel unschuldig waren. Die Drehbuecher seien auch nicht aus der Luft gegriffen, denn =auch im sogenannten Leben= habe die Unschuldsvermutung damals gegolten. (10) Handke bekennt, im Laufe der Zeit haetten sich bei ihm =Zweifel an so einem endgueltigen Schuldigsein= herausgebildet. (11) Interessanterweise ist es fuer ihn der klassische US-amerikanische Kriminalroman (mit Figuren wie Dashiell Hammetts Sam Spade oder Raymond Chandlers Philip Marlowe), der die vielen Schattierungen zwischen Held und Schurke sowohl in der Unterwelt als in der 'normalen' Gesellschaft zur Darstellung bringt. Heute sei das ganz anders, denn die Massenkultur zeige mit Vorliebe eine Welt, in der =die Gewalteinteilung zwischen Exekutive und Rechtsprechung= aufgehoben sei. (17) In Den Haag bedeutet das, dass Milo_evi_ =schon im voraus verurteilt ist=. (15)[18] Der Wandel der USA vom Hitlergegner zur Hegemonialmacht muss somit als kulturelles sowie politisches Phaenomen betrachtet werden: =Clinton, mit seinem Genozid gegen die Serben, unterstuetzt vom mueden und schlaefrigen Europa, hat das dritte Jahrtausend verdorben ...= (39) Diese Behauptung stammt zwar nicht von Handke, sondern von Milo_evi_, aber sie wird einfach ohne Kommentar angefuehrt (wie eine andere Behauptung des Angeklagten, die Idee eines Grossserbien habe =nie existiert=, sei nur =Teil der oesterreichisch-ungarischen Propaganda= - 40).


Obwohl Handke diesmal einige eigene Nachforschungen unternommen hat,[19] betont er erneut, dass eine Aufrechnung von Tatsachen =die Sache anderer= sei (40). Sein Gebiet ist die Beobachtung von Mensch, Natur und Zivilisation. Er sieht davon ab, Milo_evi_ zu beschreiben, und er stilisiert ihn auch nicht zum Helden oder Maertyrer, doch unfreiwillig (?) assoziiert er den ehemals Maechtigen mit der Kyffhaeuser- bzw. Untersberg-Legende (37), was den Serbenfuehrer der Tagespolitik entrueckt. Auf dieser Linie liegt auch Handkes Vorschlag, den Richtern einige Beisitzer zu geben, =die in Blut, Herzen und Magen haben, was der Balkan war und ist= (69). Es sind solche 'Kenner', die im Tribunal-Band aufmerksam beobachtet werden. Da ist zum Beispiel ein alter bosnisch-serbischer Forstarbeiter, der im Lager von =Muslimen= gequaelt wurde. Handke haelt sich nicht bei den =monotonen Quaelereien= auf (=im Tribunalsprotokoll nachzulesen= - 30), denn es ist eine nachhaltige Wirkung der Folter, die ihn interessiert, naemlich der =Raumverlust=, d.h., die Unfaehigkeit, sich auch in bekannten Gegenden zu orientieren. Der bemitleidenswerte Forstarbeiter verirrt sich sogar im Hotelrestaurant auf dem Weg vom =Fruehstuecksbuefett= zum Tisch (40). Im uebertragenen Sinn ist der (Kultur-)Raum Jugoslawien bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden. Fasziniert ist Handke von einem alten Albaner, anscheinend baeuerlicher Herkunft, der an der Nordsee spazierengeht: Obwohl dieser =Dorfmensch= fern der Heimat ist, wirkt er =doch weit irdischer als alle die massenhaften, grellbunten, einheimischen Sonntagsjogger, -biker, -jumper, Rollerskater, Skateboarder, Duenenskifahrer, welche dahergeteufelt waren wie aus einem fremden Sonnensystem=. (49) Dies impliziert, dass die westliche Spassgesellschaft im Grunde gar nicht befugt ist, 'echte' Menschen zu be- und verurteilen. Im Hotel essen der urige Albaner und seine Kumpanen =stumm, die Bissen gross in den Backen= (50), und das erinnert Handke an die Kaertner Dorfbewohner aus seiner Jugendzeit. Die Tatsache, dass der Alte alle Suessspeisenreste aufisst, ist Anlass zu der Bemerkung, =wie frueher in Jugoslawien die Albaner beruehmt gewesen waren fuer ihr Eis und als Zuckerbaekker= (50). Haette man all diese bodenstaendigen Gestalten - aus welchem Teil Jugoslawiens auch immer - einfach in Ruhe gelassen, so haetten sie sich bestimmt vertragen, soll der Leser wohl schlussfolgern. Nicht von ungefaehr hat Handke fuer Ibrahim Rugova, den Praesidenten der Kosovo-Albaner, nur Spott uebrig. Dieser gelte in den franzoesischen Zeitungen als =Gandhi des Balkan= (62), doch Handke habe von diesem =Dichter ... bis heute ... kein Gedicht ... lesen koennen.= Rugova wird als Opportunist hingestellt, der sich vom Volk entfremdet hat. Es ist merkwuerdig, dass ein kosmopolitischer Schriftsteller, dessen Werke alles andere als volkstuemlich sind, auf einmal auf die Elite schlecht zu sprechen ist und sich als Verteidiger des 'kleinen Mannes' gegen uebermaechtige Institutionen versteht. Auch wenn Handke zum Schluss betont, die =Untaten auf dem Balkan= haetten =gesuehnt zu werden=, wirkt er wenig glaubwuerdig, wenn er gleich danach fragt: =Aber wie? Aber wo? Und von wem?= (68)
Im April 2004 behauptete Handke, der Krieg gegen Jugoslawien sei =ein fast perfektes Verbrechen=, Milo_evi_ eine =tragische[20] Figur=, der keine Alternativen sah.[21] Diese Stellungnahmen zum Weltgeschehen haetten an und fuer sich gar nicht lanciert werden sollen, denn als Handke ein Jahr zuvor an der Universitaet Salzburg seine Ehrendoktoratsrede hielt, beschloss er seine Ausfuehrungen mit folgenden Worten: =... es ist das letzte Mal, dass ich mein Idiotentum oeffentlich zeige. Ab jetzt koennt ihr mich vor Gericht bringen, wenn ich noch einmal im Leben oeffentlich auftreten sollte.=[22] Wir koennen nicht wissen, inwiefern es in Zukunft einen politisierenden Handke geben wird, doch es waere eine ueberraschung, wenn es auf lange Sicht einen politisierenden Gstrein geben sollte. Dabei ist der Tiroler mindestens so angriffslustig wie der viel aeltere Kaerntner, was sich an Hand eines Interviews aus dem Fruehjahr 2004 veranschaulichen laesst. Die Interviewerinnen, die sich auf Gstreins Roman Das Handwerk des Toetens[23] konzentrieren und mit dem Autor die Moeglichkeiten engagierten Schreibens diskutieren, erfahren im Laufe des Gespraechs, dass Handke fuer Gstrein eine Art rotes Tuch ist. Gstrein ist =auf Handkes Spuren durch Serbien und Bosnien gefahren= und hat versucht, =Handkes Verirrungen zu verstehen.=[24] Handkes ganze Arbeitsweise, naemlich die Beschaeftigung mit unscheinbaren Einzelgestalten, wird verworfen, denn =dem Individuum geschieht im Krieg immer Unrecht. Trotzdem sind es natuerlich solche Individuen gewesen, die Milo_evi_ an die Macht gebracht und ihn dort gehalten haben=. Unter Traenen fragend wird sogar mit Pulp Fiction verglichen: Handkes Text sei =voellig surreal=. Angesichts einer derart massiven Attacke liegt die Frage nahe, was fuer ein Gegenmodell Gstrein anbietet. Es stellt sich heraus, dass der Tiroler von der Untauglichkeit jeglicher Modelle ueberzeugt ist. Gstrein, der =bei jeder Beruehrung mit der Wirklichkeit beklommen= wird, sieht sich als Romancier in der =luxurioesen Position ..., nichts anderes zu tun, als Fragen zu stellen und zu konkretisieren=, ohne von sich =eindeutige Aussagen zu verlangen=. Im Hinblick auf das Thema Krieg glaubt er, =[e]s kann kein gelingendes Schreiben ueber den Krieg geben. Ein Schreiben ueber den Krieg muss das Schreiben selbst, das Misslingen des Schreibens ueber den Krieg thematisieren.= Es ist tatsaechlich so, das Das Handwerk des Toetens nicht so sehr ein Buch ueber Jugoslawien als vielmehr ein Versuch ueber die Aporien der westlichen Intellektuellen geworden ist. Dass das die Absicht war, darf man bezweifeln.


In den verschiedenen Organen des Kulturbetriebs (vom Buch-Tipp bis zur Verlagswerbung) sind zahlreiche Inhaltsangaben zum Roman erschienen. An dieser Stelle soll eine charakteristische, weil kaum zutreffende, angefuehrt werden:


Der oesterreichische Journalist Christian Allmayer kommt im Sommer 1999 bei einem Attentat im Kosovo ums Leben. Paul kennt den Kriegsberichterstatter noch aus seiner Studienzeit und nimmt dessen Tod zum Anlass, einen Roman ueber das Leben und die Arbeit des Journalisten zu schreiben. Gemeinsam mit seiner Freundin Helena und dem namenlosen Ich-Erzaehler macht er sich auf die Spuren von Christian Allmayer - mitten durch die noch sichtbaren Verwuestungen der frueheren Kampfgebiete in Kroatien und Bosnien .[25]

Gstreins Widmung, =zur Erinnerung an / Gabriel Gruener / (1963-1999) / ueber dessen Leben und Tod / ich zu wenig weiss / als dass ich / davon erzaehlen koennte= (7), nimmt die Struktur des Romans vorweg: Im Mittelpunkt steht weder der im Kosovo ermordete Stern-Reporter noch eine auf ihm beruhende fiktionale Figur, sondern eine Leerstelle, die in unzaehligen Gespraechen umkreist, aber eigentlich nie gedeutet wird. Unbestreitbar ist hoechstens, dass sich Allmayers Leben nicht auf Sprachexperimente und -spiele beschraenkt hat, waehrend Paul und der Erzaehler fast ausschliesslich in einem Wort-Universum ihr kuemmerliches Dasein fristen. Ihre gescheiterten Ausbruchsversuche (dies ein Schluesseltopos im Gstreinschen Œuvre) kreisen um die von Kroatien nach Hamburg emigrierte Helena, die in altbewaehrter Manier das Lebensprinzip verkoerpern muss.


Hauptschauplatz des Romans ist Hamburg, wo der Erzaehler, Paul und Helena (wie zeitweise Gstrein selbst) wohnen. Paul und der Erzaehler fuehren lange Gespraeche in einem Fruehstueckscafé in Ottensen, und andere Stadtteile werden auch aufgesucht (der Erzaehler wohnt im multikulturellen Altona, Helena im eher buergerlichen Eppendorf). Alle fuenf Kapitel beginnen in Hamburg, und erst im vierten wird eine Reise nach Kroatien unternommen. Im Schlusskapitel faehrt Paul auf Allmayers Spuren nach Zagreb, wo er in einem Hotelzimmer Selbstmord begeht. ueber die Jugoslawien-Krise wird also vor allem gesprochen, oft mit Bezug auf Allmayers Artikel darueber. Die meisten Dinge erfaehrt man aus zweiter oder dritter Hand, aus der grossen Distanz also, die der Autor Gstrein bevorzugt.[26] Obwohl Gstrein Leser will, die nicht nur =die bekannten Assoziationen= abrufen,[27] reproduziert er merkwuerdigerweise viele Klischeevorstellungen vom Balkan. Der Erzaehler nennt es zwar ein altes =Vorurteil, dass man den Balkan nehmen sollte, wie er war, die Katastrophen dort als etwas Naturgegebenes, wenn keine Erklaerung mehr ausreichte=, doch gleich danach vergleicht er selbst das alte Jugoslawien mit einer geschlossenen Anstalt (33f.). Paul betastet Helenas =slawische= Backenknochen und sagt ihr, =ihr seid ein Kriegsvolk= (39). In einem kroatischen Lokal in Hamburg finden sich =finster{e] ... Gestalten= an der Theke (48). Allmayers Wirtin in Zagreb wettert gegen die =Ungeheuerlichkeiten= der =Wilden, ... Byzantiner, ... Barbaren= (114). Eine Kundin in Helenas Hamburger Firma meint, man muesse die =verfeindeten Parteien= einfach =ausbluten lassen=, denn Jugoslawien sei =ein so schoenes Land und so unvernuenftige Menschen= (193). Sogar Allmayer, der jahrelang versucht, die Konflikte auf dem Balkan zu begreifen, meint (bzw., es wird referiert, dass er es meint!), =sobald man die Leute dort nur einen Augenblick allein laesst, schlagen sie sich sofort wieder | die Schaedel ein=. (241f.) ueberraschenderweise ist es der Erzaehler, der Allmayer widerspricht: Hatte der Kriegsreporter geschrieben, es sei absurd, dass es einen Konflikt um =diese oednis= geben koennte, so erklaert der Erzaehler, es sei durchaus verstaendlich, dass die Leute =ihren Flecken Heimat | ... bis auf den letzten Tropfen Blut= verteidigten (284f.). Gerade in Deutschland und oesterreich, wo es nach 1945 lange verpoent war, von 'Heimat' ueberhaupt zu reden (abgesehen vom Kitsch), faellt eine solche Sichtweise aus dem Rahmen. Hier steht sie allerdings nur im Raum, ohne mit Betrachtungen ueber das Wesen der westeuropaeischen Dekadenz verknuepft zu werden, wie das in Botho Strauss' =Anschwellendem Bocksgesang= der Fall war.


Allmayers Berichte aus den verschiedenen =Todeszonen= (149) bilden die Grundlage fuer die Darstellung des Krieges, doch sie wirken wie verstreute Mosaiksteine, die nie zu einem Gesamtbild zusammengefuegt werden. Diese Berichte entfalten auch je nach Rezipient unterschiedliche Wirkungen. Der Erzaehler, zum Beispiel, fuehlt sich von den vielen =Grausamkeiten= und =Greuel[n]= (57)[28] so ueberwaeltigt, dass er nur einzelne Bilder im Kopf behaelt - nicht nur Fluechtlingstrecks, sondern auch Dinge, die von dem so scharf kritisierten Handke stammen koennten. z.B.: =... die beiden alten Frauen aus Split, die ihm [Allmayer] erzaehlt hatten, sie wuerden nach der Rueckkehr in ihre Doerfer wieder drei Schweine haben und den besten Schinken von ganz Dalmatien machen ...= (59) Paul, der alte Innsbrucker Schulkamerad von Allmayer, ist seit dem Tod des Reporters voellig auf Jugoslawien fixiert (175f.), obwohl er frueher der typisch desinteressierte Westeuropaeer war: =Ich habe die laengst Zeit gar nicht richtig begriffen, dass der Krieg begonnen hatte ... Gerade weil alles so nah war, ist es mir ganz und gar unwahrscheinlich vorgekommen.= (104) An anderer Stelle heisst es, Zagreb sei =ein Katzensprung bis zur oesterreichischen Grenze= (177). Die physische Naehe ist also unbedeutend angesichts der psychischen Distanz. Der Zweite Weltkrieg ist nicht so lange her (Echos davon tauchen auch oefter im Roman auf [29]), aber der alles nivellierende Nachkriegswohlstand - zumindest bis zu den juengsten Einbruechen bzw. den Terroranschlaegen - hat vieles in Vergessenheit geraten lassen. Das Verdraengte kann jedoch wiederkommen, wie ein gewisser Verdacht bezueglich Allmayer vorfuehrt: Es wird vermutet (wenn auch nie bewiesen), dass der Reporter selbst nicht nur schiessen wollte, sondern sogar einen Gefangenen getoetet hat.[30] Die blosse Moeglichkeit, dass dies tatsaechlich passiert ist, entlastet sozusagen die eher blasierten, zynischen Intellektuellen wie den Erzaehler, die in erster Linie mit eigenen Problemen (Problemchen?) beschaeftigt sind. Es ist kein Wunder, dass die engagierten Schriftsteller, die versuchen, sich auf ihre Weise in den Balkan-Konflikt einzumischen, boshaft karikiert werden, nicht zuletzt Susan Sontag, zu der es heisst: die =aufgetakelt[e] New Yorker Zicke, die als Weltberuehmtheit nach Sarajevo gekommen war und vor laufenden Kameras ein Durchschussloch in ihrem knoechellangen Pelzmantel vorgefuehrt hatte, als waere es eine Trophaee.= (76)[31] Die Liebe ist, so erfahren wir am Schluss des Romans, ein viel effektiveres Betaeubungsmittel als das Politisieren. Der Erzaehler darf die so lange ersehnte Liebesnacht mit Helena verbringen, und der gescheiterte Schriftsteller Paul ist - endlich! - vergessen. Dessen Selbstmord fuehrt zwar zu der Verpflichtung des Erzaehlers, =selbst etwas ueber Allmayer zu machen ... an seiner Stelle= (381), doch man kann sich kaum vorstellen, dass das Resultat von grossem Interesse waere. Trotz des Titels bleibt Jugoslawien in Das Handwerk des Toetens eine Nebensache, hoechstens eine zeitweilige Verstoerung, die aus einer ganz anderen Welt kommt. Als der Erzaehler gegen Ende erleichert nach Hamburg zurueckkommt, bekennt er: =[I]ch mochte die Stadt wie schon lange nicht mehr, ihre Weite, ihre Helligkeit ...= (333) Von den dazugehoerigen Schatten ist keine Rede. Vielleicht wollte Gstrein mit seinem Roman veranschaulichen, dass das von Herrn Rumsfeld belaechelte 'alte Europa' tatsaechlich ausserstande ist, sich mehr als kurzfristig mit unangenehmen Dingen zu befassen. Seine schriftstellerischen Bemuehungen laufen diesmal jedenfalls darauf hinaus. Demgegenueber bekommen Peter Handkes Donquichotterien einen ganz anderen Stellenwert.


Die kritische Rezeption von Gstreins Roman, der bereits vor seiner Veroeffentlichung preisgekroent war (Uwe-Johnson-Preis 2003), schwankte zwischen Lobeshymne und Ablehnung, blieb aber - anders als im Fall Handke - im literarischen Rahmen. Die Begeisterten priesen die Handhabe einer differenzierten Sprache und sahen Gstrein als wuerdigen Vertreter der Postmoderne (auch wenn sie diesen Ausdruck nicht verwendeten): Das Handwerk des Toetens sei =eine geglueckte Erzaehlung ueber die Unmoeglichkeit des Erzaehlens=,[32] ein =gelungene[r] Roman ueber das Nichtzustandekommen eines Romans=.[33] Gstreins =authentische= Fiktion fungiere als =Mittel gegen die Illusion authentischer Erinnerungen=.[34] Auf der anderen Seite konnte man Gstreins =Hang ..., theorieschwanger ueber das Schreiben im Medienzeitalter nachzudenken=[35] oder =sich in endlosem Raesonieren= zu verlieren[36] wenig abgewinnen. Die Hauptkontroverse drehte sich darum, ob es erlaubt sei, so viele Details aus dem Leben eines vor kurzer Zeit ermordeten Menschen ( d.i. Gabriel Gruener) beim Aufbau einer fiktiven Gestalt zu verwenden.[37] Angesichts der Kritik an seinem Verfahren sah sich Gstrein genoetigt, sein Vorgehen zu rechtifertigen, und zwar in dem Band Wem gehoert eine Geschichte?[38] Das Erstaunliche ist, dass man sich weniger daran stoerte, dass der Autor ein (weiteres) Buch ueber die Unmoeglichkeit objektiver Wahrnehmung geschrieben hatte, nicht aber eines ueber die Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Obwohl das Werk durchaus so vermarktet wurde, kam die Schreibmotivation von woanders her:


Es gab zwei Anlaesse, einmal den realen Tod eines Sternreporters, Gabriel Gruener, den ich gekannt habe. Der zweite Anlass war, dass ich ziemlich genau zu der Zeit als dieses Unglueck im Kosovo geschehen ist, mehrfach nach Kroatien und Bosnien gereist bin. Es war fuer mich wie eine Reise in die eigene Herkunft. In diesen Doerfern, in den patriarchischen Dorfgesellschaften, sind mir Dinge vorstellbar geworden, die einen (sic!) vielleicht lieber nicht vorstellbar waeren .[39]

Die erwaehnten Reisen waren =privater= Art, wie Gstrein an anderer Stelle erklaert hat.[40] Das Heraufbeschwoeren von Kindheitserinnerungen ist allerdings nicht unbedingt dazu angetan, das Besondere der Lage in Bosnien, Kroatien, Serbien oder im Kosovo ans Licht zu bringen. Die einzige wichtige Figur im Roman, die das spezifisch Jugoslawische vertritt, naemlich Helena, ist oefter Objekt der Begierde als Quelle kulturhistorischer Erkenntnisse. Gstreins Behauptung, er wisse nicht, ob diese Figur =eine Frau hat sein muessen=,[41] muss einen befremden. Waere Helena ein Mann gewesen, so haette Gstrein einen ganz anderen Roman schreiben muessen, und ein solcher Roman waere mit seiner relativistischen [42] Weltanschauung kaum zu vereinbaren gewesen. Man kann Peter Handke vorwerfen, dank seiner Blauaeugigkeit die allgemeine Lage und die Rolle Milo_evi_s falsch eingeschaetzt zu haben. Mit seiner Weigerung, eindeutig Stellung zu beziehen, lag Gstrein der allgemeinen Stimmung in Europa [43] auf jeden Fall naeher. Dies kann man je nach eigener Auffassung entweder begruessen oder beklagen.

 

ANMERKUNGEN

1 DUDEN. Deutsches Universalwoerterbuch (Mannheim/Wien/Zuerich: Dudenverlag, 2. Aufl. 1989), 204.


2 =Mit Slavko Ninic sprach Gerald Grassl=. Interview auf der Webseite der Gruppe =Wiener Tschuschen- kapelle= (2001). http://www.tschuschenkapelle.at/pages/presse04.htm


3 Nation und Nationalbewusstsein in oesterreich, hrsg. von Albert Reiterer (Wien: VWGoe [Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften oesterreichs], 1988), 121-122. Zitiert nach Peter Thaler, The Ambivalence of Identity. The Austrian Experience of Nation-Building in a Modern Society (West Lafayette: Purdue UP, 2001), 79.


4 Peter Handke, Eine winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996) und Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996).


5 Vgl. dazu Dunja Mel_i_, =Der Bankrott der kritischen Intellektuellen=, Europa im Krieg. Die Debatte ueber den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, hrsg. von Willi Winkler (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992), 35-45. Bemerkenswert in diesem Kontext ist Mel_i_s Beurteilung vom 'Historikerstreit' und von
der sog. 'Heidegger-Kontroverse': =Die risikolose Leidenschaft bei der Beschaeftigung mit vergangenem Unrecht entspricht der - zuweilen ostentativen - Interesselosigkeit gegenueber dem realen, vor unseren Augen sich vollziehenden, zum Himmel schreienden Unrecht eines national-kommunistischen Regimes und seines Eroberungs- und Vertreibungskrieges.= (36)


6 Peter Handke, Unter Traenen fragend. Nachtraegliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, Maerz und April 1999. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000. Seitenangaben im Text der Arbeit.


7Zu El País sagt Handke: =Es war einmal eine europaeische Zeitung.= (13) Das klingt allerdings sehr milde im Vergleich zu der Umtaufe der FAZ in den =Frankfurter Beobachter= (58), was einen an das Nazi-Blatt Voelkischer Beobachter erinnern soll. Analog dazu heisst eine westliche Journalistin =Westkriegsblitzmaedel= (43).


8 Dementsprechend kann eine jugoslawischen Journalistin, die nach oesterreich geflohen ist, kaum noch sprechen. (149)


9 Vorher hatte sich Handke die Schuldfrage bei einem Spaziergang ueberlegt. Da liess er =das Land=
(nicht die Menschen, wohlgemerkt) sagen: =Nein, nicht selber schuld! Nicht schuld!= (30) Um den Kritikern die Arbeit zu ersparen, fuegte er gleich hinzu: =Achtung! Antirationale Mystik!= Solche Selbst-Kommentare kommen in den Jugoslawien-Buechern oft vor.


10 Eine Zusammenfassung der Diskussion bietet der Band Der Kosovo-Krieg und das Voelkerrecht, hrsg. von Reinhard Merkel (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000). Zu den Beitraegen gehoert Juergen Habermas' Aufsatz =Bestialitaet und Humanitaet. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral=
(51-65).


11 Handke hat zwar Bedenken, diesen Ausdruck aus der serbischen Propaganda zu verwenden, doch
=fuer einmal= will er =ja zu solcher Formel= sagen.


12 Dieser Grossvater =stimmte 1920 fuer den Anschluss seiner Kaerntner Heimat an Jugoslawien, wofuer er
'von den Deutschsprachigen mit dem Erschlagen bedroht' wurde=. Vgl. Georg Pichler, Die Beschreibung des Gluecks. Peter Handke. Eine Biographie (Wien: Ueberreuter, 2002), 14.


13 Handke sieht davon ab, die 'Jugoslawen' zu kritisieren, aber er referiert immerhin die Meinung seines
Freundes Zlatko, der behauptet, die Bonzen haetten =das alte Jugoslawien ruiniert=. (107)


14 Der Kino-Fan Handke fragt sich sogar, =ob die westliche Welt nicht jegliche Unterscheidungskraft und mit der Unterscheidungskraft ihre Seele, und mit dieser ihren freien vielfaeltigen Blick verloren hat
ab jener Zeitschwelle, da die stupid-selbstgerechten Filme eines Clint Eastwood im selben Atemzug genannt wurden mit jeden John Fords?=


15 =Die Bomben haben immerhin bewirkt, dass wenigstens eine Jugend auf der Welt geheilt ist von CC und McD - (Achtung, antiamerikanisch!).= (44)


16 Handkes Trauer befremdet diesen Beobacher etwas, da die Utopie in den meisten Werken des Schriftstellers eher individuell-aesthetisch als philosophisch-politisch ist.


17 Peter Handke, Rund um das grosse Tribunal (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003). Seitenangaben
im Text der Arbeit.


18 Handke fuegt zwar hinzu, =Aber vielleicht irre ich mich=, aber das ist kaum ernst zu nehmen.


19 Er weist z.B. auf Fotos im Spiegel und anderswo hin, die nicht die Leute zeigten, die in den
Bildbeschreibungen erwaehnt wurden (33-34).


20 Beim Stichwort =tragisch= macht Handke deutlich, dass er nicht mit rechtskonservativen bzw. nach rechts gewendeten Intellektuellen wie Botho Strauss in einen Topf geworfen werden moechte. In Unter Traenen fragend spricht er vom =ewig tragische[n] ... Amselfeld-Kosovo= und fuegt in Klammern gleich hinzu: =nicht mit 'Bocksgesang' zu uebersetzen= (132).


21 =On m'a accusé d'être serbophile comme si j'étais nécrophile.= [Bernard Molino interviewt
Peter Handke.] Le Figaro littéraire, 15. April 2004. Zitiert nach Martina Meister, =Berichte des
Messdieners. Handkes Serbien im 'Figaro'=, Frankfurter Rundschau, 16. April 2004.


22 Transkribierte Rede von Peter Handke an der Universitaet Salzburg, abgedruckt in der Frankfurter Rundschau, 20. Juni 2003.


23 Norbert Gstrein, Das Handwerk des Toetens (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003). Seitenangaben
im Text der Arbeit.


24 ='Ich werde bei jeder Beruehrung mit der Wirklichkeit beklommen.' Ein Gespraech mit Norbert Gstrein ueber Jugoslawien, Peter Handke und den Schreibtisch als gefaehrlichen Ort=, Sueddeutsche Zeitung, 28. April 2004. [Das Interview wurde von Julia Encke und Ijoma Mangold gefuehrt.] Weitere Zitate aus diesem Interview im Text des Vortrags.


25 Quelle: http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/specials/51251/


26 Fuer einen Roman sei ein =kalte[r] Blick= notwendig. Das sagt Gstrein im 2004er Interview (s. Anm. 24).


27 ebenda.


28 Der Hinweis auf =bis dahin mehr oder weniger unbescholtene Leute=, die Taeter wurden, muss wohl auf Christopher Browning (Ordinary Men) und Daniel Goldhagen ( Hitler's Willing Executioners) zurueckgefuehrt werden, obwohl die beiden Forscher nicht namentlich genannt werden.


29 So darf z.B. der =Angriff der Hakenkreuzbomber auf Belgrad am 6. April 1941= nicht fehlen, auch nicht die Erschiessung von serbischen Geiseln als =Vergeltungsmassnahme= (198f.) oder die Geruechte vom Anfang des Krieges, die oesterreicher wollten mit den Slowenen ein =Viertes Reich= errichten (271).


30 Es ist bemerkenswert, dass eine Besprechung von Handkes Unter Traenen fragend mit folgenden Worten schliesst: =Ja, man darf Partisanen-Sehnsucht heraushoeren: Ich, ich, ich - will schiessen.= Aus: Ina Hartwig, =Totalnihilismus vor Seelenlandschaft=, Frankfurter Rundschau, 22. April 2000.


31 Abgesehen von der Idealisierung der schoenen Helena neigt Gstrein dazu, als nachgeborener Macho an Frauen kein gutes Haar zu lassen. Die Jugoslawienfahrt von Julie Zeh, die ihr eigenes Buch zur Krise publizierte ( Die Stille ist ein Geraeusch. Eine Fahrt durch Bosnien, 2002), wird als =Irrfahrt eines deutschen Girlies= (235) belaechelt. Die Frau des mysterioesen Autors Waldner hat Arme und Schenkel, die =bleich und teigig= sind, und sie redet mit einem =auf- und zuklappende[m] Fischmaul= (291) Der mutmassliche kroatische Kriegsverbrecher Slavko spricht =zaertlich fast, verfuehrerisch wie eine Frau= (347). Dazu passt ueberhaupt nicht, dass Paul von Maennern aus seinem Tiroler Dorf spricht, =die ihre Tiere besser behandelten als ihre Frauen und ihre Kinder= (367). Man darf vermuten, dass der auf einem Dorf aufgewachsene Gstrein selbst solche Maenner zur Genuege kennt.


32 Andreas Breitenstein, =Allmayers Wahn=, Neue Zuercher Zeitung, 29. Juli 2003.


33 Gerrit Bartels, =Die Dauerfaelscher=, taz, 9. Aug. 2003.


34 Sigrid Weigel, =Alles wahr, weil erfunden=, Frankfurter Rundschau, 3. Januar 2004.


35 Martin Droschke, =Norbert Gstrein: Das Handwerk des Toetens=, Literatur, 13. Aug. 2003.[ http://www.idowa.de/idowa/bereich_de/nachrichten/nachricht.html?redaktion_id+1047;nachrichten_id =
451941]


36 Roland Mischke, =Tod eines Kriegsberichterstatters=, Rheinischer Merkur, 7. August 2003.


37 Eine Wortmeldung stammte von Grueners Lebensgefaehrtin Beatrix Gerstberger. Vgl. Ihr eigenes Gruener-Portraet im von ihr herausgegebenen Band Keine Zeit zum Abschiednehmen (Muenchen: Marion von Schroeder Verlag, 2003).


38 Norbert Gstrein, Wem gehoert eine Geschichte? Fakten, Fiktionen und Beweismittel gegen alle Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004).


39 Zitiert nach Marianne Scheuerl, =Buchtipp der Woche: Das Handwerk des Toetens=, Norddeutscher Runkfunk, Sendetermin 12. August 2003.


40 Interview mit dem Hessischen Runkfunk auf der Frankfurter Buchmesse, 12. Oktober 2003. [ http://www.hr-online.de/d/specials/buchmesse2003/s
=special_standard_580547.html Die privaten Beweggruende verdraengten anscheinend eine Einsicht, die Gstrein selbst formuliert hat:
=Eigentlich sind diese jugoslawischen Kriege fast noch zu nah, als dass man literarisch darueber schreiben koennte.= Aus: =Von Liebe und Hass. oesterreichische Autoren auf der Frankfurter Buchmesse 2003.


41 Aus dem Interview mit dem Hessischen Rundfunk (Anm. 40).


42 =Das Relative ist das Spezialgebiet Norbert Gstreins.= Aus: Paul Jandl, =Diese nicht aufhoeren wollende Sehnsucht=, Neue Zuercher Zeitung , 27. August 2001.


43 Stellvertretend fuer viele sei hier die Formulierung von Richard Kaemmerlings angefuehrt: Gstreins Werk sei ein =grosser Roman ueber die Unmoeglichkeit, sich ein wahres Bild vom Krieg zu machen=. Aus: R.K., =Jede Schrift bleibt immer nur ein Manoever=, Frankfurter
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Georg Pichler
 
 Die Beschreibung des Gluecks.
Peter Handke - Eine Biografie Wien: ueberreuter, 2002.
208 S. geb.; Euro (A) 19,90. ISBN 3-8000-3883-8.
Georg Pichler stellt in der =Einleitung= seine Arbeit mit zwei verschiedenen Etikettierungen vor: es sei =die erste umfassende Biografie Handkes= und spaeter, es seien =Annaeherungsversuche= an Leben und Werk. Der erste Anspruch reflektiert wohl den Forschungsstand - abgesehen von Adolf Haslingers Monografie ueber Handkes Jugend gibt es nichts =Umfassendes=; der zweite trifft das Ergebnis wohl besser. Die Schwierigkeiten, ueber einen lebenden Autor zu schreiben, sind notorisch. Abgesehen von dem ambivalenten Rat: =Machen Sie doch, was Sie wollen!= scheint Handke das Projekt nicht allzu sehr gefoerdert zu haben - zumindest fehlt in den Quellen das =grosse= (=umfassende=) Interview mit dem Autor.

Doch gleichzeitig ist =Handke ueber Handke= in dem Band omnipraesent. Es gibt eine durch unzaehlige fiktionale Texte und Interviews laufende untergruendige =Autobiografie= Peter Handkes: der Dichter hat sein Leben und die Personen seiner Umgebung fiktionalisiert und die Zahl seiner nicht nur die dichterische Arbeit, sondern auch die Biografie kommentierenden Interviews ist Legion. Und diese =Autobiografie= ist die zentrale Quelle Pichlers, er hat an entlegenen und heute unzugaenglichen Stellen liegendes Material gesammelt und komprimiert. Es sind also - mit Ausnahme zahlreicher zitierter Briefe Handkes - hauptsaechlich gedruckte Materialien, auf die sich diese Biografie stuetzt. Die beruehmten =Rowohlt - Monographien= liefen frueher unter der Bezeichnung: XX in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten= und das waere auch fuer diesen Band eine adaequate Bezeichnung.

Pichler geht in seiner Darstellungsweise sehr sachlich vor: er beschreibt einen biografischen Ablauf, konfrontiert ihn mit den Auswirkungen auf das Werk, zitiert Selbstkommentare und Berichte oder Kommentare Dritter. Haeufig - ein kleines Beispiel: Handkes Beziehung zur Rockmusik - stehen widerspruechliche Selbstaussagen unkommentiert nebeneinander und der Autor fuehlt sich nicht verpflichtet, diesem Widerspruch nachzugehen. Auch in der Frage der Werkinterpretation bleibt Pichler entweder abstinent oder referiert anerkannte Sekundaerliteratur. Das Privatleben Handkes - sofern es nicht in Prosa oder Interviews behandelt wurde - bleibt weitgehend uneroertert. Unter den ungedruckten Materialien sind vor allem die Briefe an Alfred Kolleritsch wichtig, mit dem Handke einen ueber Jahrzehnte laufenden Dialog ueber seine Arbeit gefuehrt hat.

Eine kleine Kostbarkeit ist ein offensichtlich von Pichler entdeckter Brief Curd Juergens an Handke, in dem dieser =den faszinierendsten deutschsprachigen Dichter dieser Jahre= tatsaechlich bat, fuer ihn eine Rolle zu schreiben. Juergens dachte an eine =Figur (...), die im schroffen Kontrast zu seiner (sic!) aeusserlichen Erscheinung steht=: =Mit anderen Worten, es wuerde mich ungeheuer reizen, einen KOLOSS AUF ToeNERNEN FueSSEN ... zu spielen.= Ob der =normannischen Kleiderschranks=, dessen Karriere damals offensichtlich stagnierte, Handke wirklich verstanden hat, bleibt dahingestellt.

Dass Pichler mehr als treuer Chronist der Selbstbilder des Objekts seiner Arbeit auftritt, spricht ein wenig gegen den Anspruch von der =umfassenden= Biografie, soll aber sein Verdienst nicht schmaelern. Nicht nur ist es eine Leistung, die Vielfalt der Quellen zusammengefasst zu haben, Pichler versteht es auch, Handke =sichtbar= zu machen. Haltungen - etwa die zu Jugoslawien - die wir nur in der massenmedialen Zuspitzung kennen, werden hier in ihrer langsamen Entwicklung gezeigt. Handke ist nach dieser Arbeit fuer das Publikum verstehbarer und seine Positionen haben an Nachvollziehbarkeit gewonnen - ich bezweifle, dass eine biografische Arbeit im Augenblick mehr leisten koennte.


Alfred Pfabigan
16. Oktober 2002

Originalbeitrag

 

 

 

PETER HANDKE: SUGERENCIAS DESDE UNA NARRATIVA ANTI-TRAGICA? [1]
Vicente Huici Urmeneta ( UNED- Bergara)
1.- El registro trAgico.
El registro trAgico es una de las formas discursivas de representacion de la realidad mAs importantes de la cultura occidental. Dicho registro tiene su origen en el drama griego y en el relato de investigacion o Historia ( istorie ) , sumandose mAs tarde la tradicion narrativa judeo-cristiana. Posteriormente el registro trAgico se manifesto en el relato nove­stico [2] y , finalmente , en el cinematogrAfico.
En este contexto una de las formalizaciones típicas de la modernidad fue la construccion de las denominadas novelas de aprendizaje ( Bildungsroman ). En tales novelas el registro trAgico ordenaba las etapas de la vida de un individuo -- la configuracion de un yo -- desde su niez hasta su madurez, articulAndolas en variables psicologicas, economicas , pol­ticas y sociales. Tal es el caso del ciclo de Wilhem Meister de Goethe, de Rojo y Negro de Stendhal, de La Educacion sentimental de Flaubert o de Las tribulaciones del estudiante Torless de Musil.
Estructuralmente el registro trAgico supone el emplazamiento de unos protagonistas y unos antagonistas de cara a la accion que se representa. As­ mismo se formula desde un dispositivo que , en diferentes actos , desarrolla los denominados planteamiento , nudo y desenlace. La pragmAtica del registro trAgico apunta, por fin, a la creacion de un efecto de sentido , como cualquier otro genero de representacion, pero con la peculiaridad de que en este caso se suelen exaltar las figuras individuales en el seno de una comunidad -- familia, profesion o patria -- que legitima o sanciona sus avatares.
Las potencialidades del registro trAgico ya fueron expuestas tanto por Aristoteles como por Nietzsche. Para el primero el registro trAgico opera como un gran dinamizador de catarsis en las que los seres humanos purgan sus errores y se ven , al cabo , salvados por un efecto de sentido que ubica sus acciones en una dimension apriorstica y trascendente como la Ley o la Historia. Lo trAgico apartara as­ del sin sentido. Para el segundo, lo trAgico es la representacion mAs verdica de la realidad humana y ayuda justamente a mantener la tension de la vida generando un efecto tonificante para quienes son capaces de asumirlo . Lo trAgico ser­a, en este caso , la constatacion exultante del sin-sentido.
Por lo general las manifestaciones del registro trAgico parecen estar reducidas a las formalizaciones convencionalmente consideradas como literarias . Sin embargo, en tanto que trama discursiva, es fAcilmente perceptible en formalizaciones genericamente no-literarias. Tal es el caso de las ciencias sociales, en las que , en muchas ocasiones , el registro trAgico ha servido y sirve para situar y explicar-comprender estructuras y conflictos sociales y psico-sociales.
Robert Nisbet, en su sugerente ensayo La sociologa como forma de arte -- en el que estudia las relaciones entre el arte y la ciencia social -- afirma al respecto que excepto en estilo y formato, pocas diferencias pueden encontrarse entre las representaciones ( . . . ) hechas por un Dickens o un Marx, un Zola o un Proudhon [3] . Sin desvalorizar en modo alguno las lucidas intuiciones expuestas en este texto, lo que Nisbet dice tambien sin darse muy bien cuenta es que las tramas que operan en las obras de los autores citados tienen en comun precisamente el registro trAgico. Un registro que situa grupos sociales enfrentados -- protagonistas y antagonistas sociales -- y que esboza una deriva que sigue el curso canonico del << planteamiento-nudo-desenlace , ciertamente, desde este punto de vista, pocas diferencias pueden encontrarse entre el dispositivo formal de la novela y de la sociologš­a decimononicas.
Es tambien cierto, por otro lado, que las ciencias sociales se han ido apartando a lo largo del siglo XX del monocorde registro trAgico. Basta para ello echar una ojeada a las producciones sociologicas de los aos cincuenta y sesenta. Sin embargo, en muchas de ellas subsiste un anhelo de sentido global y totalizador que era justamente lo que otorgaba el registro trAgico. Por ello aunque dicho registro no se contemple en muchas ocasiones como supuesto teorico , emerge una y otra vez de la forma mAs insospechada.
Desde al Ambito literario, no obstante, el registro trAgico ,tal como se ha descrito, comenzo a ponerse radicalmente en cuestion desde principios del siglo XX. Obras como el Ulises de James Joyce, En busca del tiempo perdido de Marcel Proust o El hombre sin atributos del ya citado Musil, abandonaron la clave trAgica para someterse a un registro multiple con mas o menos aciertos y mAs o menos aceptacion. No hay mAs que acordarse de la furibunda reaccion negativa de Andre Gide ante la obra de Proust.
Esta nueva tradicion , en algunos casos declaradamente anti-trAgica, se mantiene en la actualidad de la mano de autores como Peter Handke o Paul Auster -- un autor de novelas-que-se disuelven [4]-- a pesar de los intentos de muchos escritores en favor de recuperar la consoladora trama trAgica . Siendo Peter Handke , desde este punto de vista , uno de los representantes mAs cualificados de esta corriente literaria, puede resultar interesante llevar a cabo un breve anAlisis de su obra , tomando como referencia su espritu anti-trAgico. QuizAs as­ puedan aparecer algunas sugerencias que permitan reflexionar en el contexto de las ciencias sociales.

2.- La obra de Peter Handke
La obra narrativa del escritor austr­aco Peter Handke [5] constituye , en su conjunto, una renuncia deliberada al esp­ritu trAgico. Una renuncia calculada que utiliza varios procedimientos para impedir el desarrollo de cualquier trama o intriga que incorpore la tension de lo trAgico o que, en su caso, disuelva lo trAgico sin un enfrentamiento directo.
Dicha renuncia no es, por otro lado, una apuesta por el mero formalismo literario o la manifestacion extemporAnea de los caprichos de un enfant terrible . Es una renuncia conclusiva, fruto de una reflexion sobre los modelos narrativos occidentales y sobre sus supuestos filosoficos. Es una renuncia, en fin, a lo trAgico como modo de representacion y , por lo tanto, como perspectiva de interpretacion , y tambien una renuncia a lo trAgico como mediacion de una catarsis purgativa o tonificante.
En la formalizacion de esta renuncia a lo trAgico sobresalen tres procedimientos, muy utilizados a lo largo de toda su obra.
a) Trago/edia
Nosotros allí no beberemos del agua de la vida. Allí no seremos curados. All no veremos ningun signo. Allí simplemente habremos estado [6]
El primer procedimiento consiste en liberar la voz narrativa -- aeido -- de la piel -- trAgos -- que la presenta como necesariamente vinculada al registro trAgico. Con este recurso se descarga el dramatismo de los modelos narrativos convencionales, y, particularmente el de la novela decimononica. Así, la abjuracion del dispositivo del <> , formula la posibilidad de la construccion de una narrativa sin intriga, en la que no se establece una línea de sentido predeterminada.
A esta abjuracion , no le es ajena la reflexion teorica y la prActica literaria y fílmica de manifestaciones artísticas recientes, como el nouveau roman o la nouvelle vague [7], que, como es conocido, se esforzaron en desvincular la narracion de la trama trAgica.
La aspiracion de Handke a llevar a cabo un narrar sin intriga [8] queda muy bien expresada en este apunte de su dietario Historia del lApiz ( 1982 ): Una epopeya compuesta de haikus [9] que, sin embargo, no puedan reconocerse como piezas individuales; sin argumento, sin intriga, sin dramatismo, y no obstante narrativa: no se me ocurre nada mAs sublime [10] .
Incluso cuando Handke utiliza el modelo de <> , como ocurre en la tetralogía iniciada con Lento regreso [11], lo hace guardando una distancia suficiente. Una distancia que, articulada en varios puntos de vista narrativos, hace saltar el dispositivo trAgico y le impide caer en una apología del yo , tan frecuente en este tipo de obras, apartAndose así de la protegida conciencia burguesa con su placer en el recuerdo y su egocentrismo reminiscente [12] .
Por otro lado, dicha descarga no se propone dinamitar tales modelos, sino liberar, como se ha dicho, la voz narrativa, apartAndose de la confeccion de lo que Josep PlA denominaba <>.
b) Koan
Literatura : descubrir los lugares no ocupados todavía por el sentido [13]
El segundo procedimiento de la renuncia a lo trAgico consiste en lo que podría considerarse como una singular aplicacion del principio del koan , utilizado preferentemente en la prActica del Zen. Dicho principio consiste en desviar la atencion sobre una cuestion aparentemente importante planteada de antemano, tomando una resolucion insolita y sorprendente [14].
Este principio de desvío, de despiste, de cambio de intensidad en el registro lingüístico, muy evidente en obras como Lento regreso o El chino del dolor [15] , es a menudo utilizado por Handke, para evitar cualquier reconstruccion de una trama excesiva que pueda derivar en intriga. El mismo Handke habla de ello en varias ocasiones y particularmente en una entrevista con Herve Guibert, en la que afirma : Cuando creo en mi relato ese espacio que puede acoger la desviacion, siento que estoy en el buen camino . . . Es un descanso, porque el peso del discurso se relaja [16] . Relajacion, pues, ante la intensidad progresiva generada por el propio impulso de la voz narrativa que tiende culturalmente a estructurarse segun el registro trAgico.
Este procedimiento permite, ademAs, quebrar decididamente el envaramiento y la supuesta trascendentalidad que, procedente del discurso historico mAs convencional, pero tambien , a veces, solapadamente, emerge una y otra vez en las aproximaciones narrativas : Simplemente, salirse del cautiverio, de la chAchara sobre la Historia y la actualidad en la que estamos atrapados todos nosotros, y dirigirse a un presente incomparablemente mAs fecundo: << Mira, estA nevando. Mira, allí hay unos niños que juegan>>. ( El arte de desviarse; el arte como la desviacion esencial) [17].
c) Epoje
Aliviado, me limitaba a mirar, en un estado paradisíaco en el que solo quería mirar y en el que mirar era ya una forma de conocimiento [18]
Un ultimo procedimiento anti-trAgico consiste en atenerse a la exigencia de la narracion de lo concreto. Lo concreto, como tal, se presenta sin trama ni intriga, y , sin embargo, es capaz de suscitar el impulso de la escritura. Dice Handke : En la medida en que se describe algo, se da testimonio de la admiracion. Ante los objetos proximos, lo que se ve y se escucha, surge la admiracion y el entusiasmo que pertenecen al Ambito de la emotividad. Lo que la suscita es el Arbol, el niño, el anciano, la gente, viajar en autobus, todo . . . A mi me interesa solo lo concreto y con lo concreto comienza el gran impulso a escribir [19].
La narracion adopta así la forma de un tejido discursivo, muy proximo a lo concreto, en el que la posibilidad de sobredeterminaciones de sentido es muy limitada por no decir prActicamente imposible. No se pretende en esta prActica, por otro lado, ninguna modalidad de mímesis sino que mAs bien se reconoce que da lugar a un registro paralelo, autonomo y limitado.
Sin duda la utilizacion de este ultimo procedimiento estA muy vinculada a la capacidad de suspender toda representacion previa de la realidad, en un a modo de epoje fenomenologica, para entrar en un estado de reposada atencion , apuntado ya por su maestro Goethe como una de las tareas fundamentales de la vida : El mAs grande estado del hombre es el reposo, la reposada atencion y ese poder aceptar y recibir y ver en el percibir, por así decirlo, la epopeya -- aun cuando no haya ninguna guerra [20] .
3. - Un espíritu anti-trAgico
Por medio de los tres procedimientos descritos se libera a la voz narrativa de su estructuracion o reestructuracion de carActer trAgico, lo cual tiene, ademAs, la virtualidad de horadar formalmente, en su misma exteriorizacion, cualquier codificacion filosofica que se sustente en el a priori trAgico.
Así, frente a la premisa filosofica que situa lo trAgico en la base de de un sentido apriorístico de lo humano ( Aristoteles ) o que estima la condicion trAgica como la tension fundamental de lo humano ( Nietzsche ), surge la alternativa de una contemplacion activa que puede conllevar la recuperacion del placer de la accion.
Y frente a la pragmAtica de la purga o de la catarsis como funcion de lo trAgico ( Aristoteles ) , o frente al efecto tonificante que lo trAgico parece dispensar ( Nietzsche ) , emerge la asuncion de lo real en cuanto que tal sin necesidad de mediacion alguna.
El efecto filosofico del dispositivo formal handkiano señala la posibilidad de un tertium non-exclusum que se desdice de la dicotomía sustancial que alimenta y retroalimenta el espíritu trAgico: o un sentido reconfortante y apriorístico o un sin-sentido inaceptable y culposo.
SimultAneamente se evapora el esfuerzo pertinaz de la Historia en pro de subsumir en un unico sentido, aparentemente objetivo y objetivizable, frecuentemente colectivo y colectivizante, cualquier genero de experiencia subjetiva, al calor de ese dios-en-la-tierra que es el Estado.
El sentido siempre estA en la obra de Handke de este lado, del lado de los mortales, surgiendo de la propia modulacion de la vida y apartAndose tanto de las propuestas deterministas como de cualquier manifestacion de cínico nihilismo.
Por medio, en fin, de los procedimientos apuntados, se formaliza una prActica anti-trAgica , una praxis que puede permitir reflexionar sobre las líneas maestras de una filosofía del futuro mAs allA del espíritu trAgico.
4.- Sugerencias desde una narrativa anti-trAgica?
Constituyen los procedimiento desarrollados por Handke alguna pista para apartar a las ciencias sociales de su hipoteca trAgica ?
El primer procedimiento, la liberacion de la voz narrativa del registro trAgico, supondría para las ciencias sociales el esfuerzo por construir una voz propia en el conjunto de los discursos sobre la realidad. Una voz propia que , sin desdecirse de su tradicion, abandone sus pretensiones totalizadoras en la medida en que estas supongan reactivaciones de la trama trAgica. Voz que ya se apunto en algunas obras como, por ejemplo, las que Maurice Halbwachs [21] dedico a la memoria colectiva , en las que se configura un tratamiento especificamente sociologico sobre un tema ampliamente discursivizado.
El segundo procedimiento, el desvío de la atencion sobre las cuestiones aparentemente mAs importantes, supondría , a su vez, una mayor atencion a los fenomenos sociales que emergen colateralmente y que frecuentemente no se toman en consideracion por estimarlos irrelevantes o residuales en relacion a supuestos macrosociologicos o metasociologicos tan redivivantes en muchos autores contemporAneos. Tal fue la prActica que se puso de manifiesto, por ejemplo, en algunos ensayos de Georg Simmel como el titulado Puente y puerta [22].
El ultimo procedimiento, la exigencia de la narracion de lo concreto, supondría una apuesta por la descripcion de lo específico en relacion a lo social. Una apuesta que implicaría la suspension metodologica de todo a priori teorico, a fin de dar cuenta rigurosa de lo que aparece . En este sentido no podemos olvidar la obra de Alfred Schutz que, entre otras muchas cuestiones , intento llevar a cabo una aproximacion directa al mundo de la vida cotidiana [23].
SerAn , en fin, las ciencias sociales -- la sociología, la psicología, la historia -- capaces de asumir esta renuncia al registro trAgico a la hora de crear su discurso sobre las realidades sociales ? La pregunta queda en el aire. Mientras tanto, la obra de Peter Handke nos la recuerda una y otra vez.
Pasion por coleccionar; gusto por el orden ( incluso junto a una mesa rectangular ) ; complacencia en el mero habitar; alegría de aprender, redescubierta; placer de tener un cuerpo: de sus necesidades, incluso solo de sus actividades. Que no haya nada mAs que querer: ninguna desgracia. El cumplimiento: nada sobrenatural. No apartar nada de nuestro pensamiento, pero sin obstinacion. La sensacion de un permanente calorcillo en la cabeza: sin pensamientos personales, sin aspirar a ninguna conclusion y sin que nadie nos haya pensado de antemano -- con el aliento cortado ( << socorro >> ) , y luego, inspirando profundamente ( << a quien hay que estar agradecido ? >> ) -- , solo pensando con . [24]

Mireille Tabah

Peter Handke: Die drei Lesungen des Gesetzes

Der 1969 im Gedichtband Die Innenwelt der Aussenwelt der Innenwelt veroeffentlichte Text Die
drei Lesungen des Gesetzes entstand zu einem geschichtlich bedeutungsvollen Zeitpunkt: 1968,
in der Zeit der Studentenunruhen, am Hoehepunkt der kulturrevolutionAEren Bewegung, die in
Deutschland an den Grundfesten der Wohlstands- und Konsumgesellschaft der restaurativen Ade-
nauer- und PostadenauerAEra ruettelte und den ersten entscheidenden Regierungswechsel seit 1949
herbeifuehrte.
Der junge Peter Handke er war damals 26 Jahre alt ist zugleich Produkt und Spiegelbild
dieser bewegten Zeit, an der er auf zunAEchst missverstandene Weise durch originelle, herausfor dernde Schriften teilgenommen hat. In bewusstem Widerspruch zu der in den sechziger Jahren vor-
herrschenden Tendenz zum Engagement bzw. gesellschaftskritischen Realismus in der Literatur stellte es sich der provokativ als Bewohner des Elfenbeinturms sich bezeichnende Autor zur
Aufgabe, zur AuthentizitAEt der subjektiven Wirklichkeitserfahrung als dem einzigen ehrlichen und zuverlAEssigen Zugang zur RealitAEt zurueckzufinden und besann sich konsequent auf methodologi-
sche und sprachliche Grundfragen der literarischen Praxis zurueck, die diesem Ziel entsprechen
sollten. Literatur war und ist fuer Peter Handke in erster Linie romantisch, weil die Aussenwelt
sich nur durch die Innenwelt, durch die SubjektivitAEt des individuellen Bewusstseins, authentisch erfahren und wiedergeben lasse, und sie ist poetisch, weil die urspruengliche und eigentliche Aufgabe des Schriftstellers die Suche nach der nicht entfremdbaren Substanz der Dinge sei. Dieses
Credo hat den Autor zwar oft zu einer moralisch unhaltbaren Verkennung der Tatsachen verleitet,
wie seine Einstellung zum bosnischen Krieg in krasser Weise zeigt. Es hat ihn aber auch, vor allem in den Werken aus den sechziger und fruehen siebziger Jahren, fuer die gestoerte Beziehung des Subjekts zur wirklichen Wirklichkeit in der modernen Konsumgesellschaft und fuer den Verlust an
individuellem Bewusstsein und persoenlicher Freiheit besonders empfindlich gemacht, der mit schickten Methoden der ideologischen Steuerung in scheinbar demokratischen Gesellschaftsfor-
men bewirkt wird, und zwar so, dass der Einzelne sich des erlittenen Persoenlichkeitsschwunds oft
selbst nicht bewusst wird. Das Aufzeigen der verborgenen Gewalt dieses Prozesses stellt einen
entscheidenden Aspekt von Peter Handkes Fruehwerk dar, den Die drei Lesungen des Gesetzes
beispielhaft veranschaulichen.
Als Gedicht darf dieser Text nur in beschrAEnktem Sinn betrachtet werden: nicht als lyrische
Gestaltung innerseelischer VorgAEnge im Dichter, sondern als formale Bewegung des Sprachmate-
rials mit den poetischen Mitteln Rhythmus und Variation. In drei zunehmend komplexeren
Sprechphasen wird nach dem gleichen grammatischen Modell eine Behauptung und ihre EinschrAEnkung die Tragweite weniger wiederkehrender Begriffe immer weiter verringert. Die drei-
malige Aneinanderreihung von syntaktisch AEhnlichen, in jeder Sprechphase jedoch lAEngeren SAEtzen
mit ploetzlichem Abbruch ergibt dabei einen sich stufenweise steigernden Grundrhythmus, dessen
Modell Handke in der Beatmusik gefunden haben soll.1 Ergebnis ist ein leitmotivischer, rhythmi-
scher Text, der tatsAEchlich viel AEhnlichkeit mit einer modernen musikalischen Komposition auf-
weist.
Es handelt sich indessen nicht um ein willkuerliches, formalistisches Spiel. Vielmehr haben Leit-
motivik und Rhythmisierung, AEhnlich wie die formalisierenden Elemente im epischen Theater, eine
verfremdende Funktion: Sie sollen Gewoehnliches in Ungewoehnliches, Vertrautes in Fremdes und
damit erneut Durchdenkbares verwandeln. Was Peter Handke in diesem Text thematisiert, gehoert
in der Tat zum selbstverstAEndlichen, doch gerade deshalb kaum noch auf seine Anwendung hin
ueberprueften Gedankengut der Demokratie: das vom Grundgesetz garantierte Recht jedes Indivi-
duums auf die freie, allseitige Entfaltung seiner Persoenlichkeit und auf Unantastbarkeit seiner Per-
son. Aufgezeigt und verfremdet wird die ohne bedeutenden Widerspruch hingenommene und
schliesslich kritiklos anerkannte EinschrAEnkung dieses grundsAEtzlichen Menschenrechts in der ge-
sellschaftlichen Praxis im restaurativen Nachkriegsdeutschland.
Die fortschreitende Begrenzung des Rechts auf freie Selbstbestimmung und -verwirklichung
weist Handke nun nicht an konkret-realistischen Beispielen nach, sondern an der subtilen Modifi-
kation des Wortlauts und damit des Sinns des Gesetzes im obrigkeitlichen, juristischen und politi-
schen Sprachgebrauch im deutschen Nachkriegsstaat. Wie im Sprechstueck Selbstbezichtigung
(1966) und im dramatischen Werk Kaspar (1968) greift der Autor auf das von der strukturalen
Linguistik und der Soziologie aufgestellte Prinzip zurueck, nach dem sprachliche Strukturen histo-
risch und gesellschaftlich vorgeprAEgt seien und die Denkweise, die Lebensauffassung und Weltan-
schauung der menschlichen Gemeinschaft offenbaren, in der sie gebraucht werden. Die sprachli-
chen Manipulationen, die Handke am Text des Grundgesetzes vornimmt, die ZusAEtze und
Mutationen, sind dementsprechend verfremdende Nachahmungen sprachlicher Gewohnheiten des
herrschenden politischen Diskurses, in denen sich die ideologische Manipulation des Begriffs der
freien Persoenlichkeitsentwicklung in der konservativen und materialistischen deutschen Nach-
kriegsgesellschaft widerspiegelt.
Das grammatische Modell die EinschrAEnkung einer Behauptung findet sich allerdings im
Grundgesetz vorformuliert: Jedes Grundrecht ist von restriktiven Bedingungen begleitet, die dafuer
buergen sollen, dass seine Ausuebung die Rechte anderer nicht verletzt. Durch systematische Wie-
derholung und Erweiterung wird dieses typische grammatische Schema der juristischen Sprache
Handke hat Jura studiert im Text des Autors zum Denkmodell einer Gesellschaft, in der die


1 Manfred Mixner: Peter Handke, Kronberg 1977, S. 77.
Freiheit der individuellen Persoenlichkeitsentfaltung von dem Zwang zur oekonomischen Sicherheit
und sozialen Ordnung drastisch begrenzt wird. Das vom Grundgesetz garantierte Recht, Beruf,
Arbeitsplatz und AusbildungsstAEtte sowie Wohnsitz frei zu wAEhlen, unterliegen in der Praxis
der deutschen Wohlstandsgesellschaft wirtschaftlichen Erfordernissen, die beim Einzelnen Lei-
stungsfAEhigkeit und den Willen voraussetzen, sich den GrundsAEtzen der Leistungs- und Konsum-
gesellschaft zu unterziehen. Arbeit und Bildung werden nicht als Bereicherung der Persoenlichkeit
und Formen der Selbstverwirklichung betrachtet, sondern als Mittel zur Erlangung oder Vermeh-
rung materiellen Wohlstands. Freizeit soll nicht zur individuellen Persoenlichkeits-entwicklung ver-
geudet werden, sondern wird nur insofern genehmigt, als die Arbeitskraft des Einzelnen nicht
durch hoehere oekonomische Interessen beansprucht wird. Vermittelt wird somit in Form eines un-
widersprechbaren Gesetzes die normative Vorstellung einer ausschliesslich auf Wohlhabenheit und
materielle Sicherheit ausgerichteten Gesellschaft, in der das Individuum zur Arbeitskraft funktio-
nalisiert und instrumentalisiert wird und seine Persoenlichkeit nur im Rahmen wirtschaftlich
zweckmAEssiger Leistung entfalten darf: ein prAEgnantes Konzentrat der Ideologie fortgeschrittener
Industriegesellschaften im allgemeinen und des Deutschland des Wirtschaftswunders im besonde-
ren.
In der dritten Lesung des Gesetzes werden die wirtschaftlichen und die sittlichen GrundsAEtze
der deutschen Gesellschaft dreimal in unmittelbare Verbindung miteinander gebracht. Diese unge-
woehnliche Vermengung von OEkonomie und Ethik entlarvt unmissverstAEndlich die ideologische
Grundlage des gesellschaftlichen Zwangs zu optimaler Arbeitsleistung und maximaler materieller
Sicherheit: Sie sind das Fundament sozialer und politischer StabilitAEt, deren Erhaltung das oberste Gesetz des Staates im restaurativen Nachkriegsdeutschland ist. Sie werden daher als sittliches Gebot und kategorischer Imperativ fuer jeden deutschen Staatsbuerger hingestellt: Eine Ablehnung des herrschenden Leistungs- und Wohlstandsdenkens gleicht sittlicher Verwahrlosung. Denn wer sich
dem gesellschaftlichen Zwang zur SelbstbeschrAEnkung auf materielle Werte entzieht und auf dem
unabdingbaren Recht besteht, seine Persoenlichkeit auch in gesellschaftlich nicht anerkannten Be-
reichen frei zu entfalten, bedroht den allgemeinen Konsens ueber die obrigkeitlich verordneten
Grundlagen und Zielsetzungen der sozialen und politischen Ordnung und stellt eine unzulAEssige
Gefahr fuer den Bestand der Gesellschaft dar, deren Ausmass daran erkennbar wird, dass sie im Text
ironischerweise mit Naturkatastrophen gleichgesetzt wird. Das Grundrecht jedes Menschen auf
freie Persoenlichkeitsentfaltung ist, so zeigt Handkes Text, ein Faktor der Subversion, also soll es moeglichst eingeschrAEnkt werden: In der gesellschaftlichen Praxis hat sich das Gesetz in sein Ge-
genteil verkehrt.
Die Drei Lesungen des Gesetzes zeigen dabei modellhaft, wie die Propagierung von Ideolo-
gie und die BeschrAEnkung individueller Freiheit in einem reaktionAEren Staat, der sich aber den An-
schein der Demokratie und der LegalitAEt bewahren will, vor sich geht. Die ideologische Botschaft,
so macht Handkes Spiel mit dem Gesetzestext deutlich, wird im obrigkeitlichen Diskurs durch
SAEtze vermittelt, die denen des Gesetzes nachgebildet sind. Damit erweckt sie den Eindruck der
RechtmAEssigkeit. Mit anderen Worten: Die Negation des Rechts auf freie Entfaltung der Persoen-
lichkeit erscheint, wenn man nicht genauer hinsieht, dadurch als gesetzlich, und als gerecht, dass sie
im juristischen Jargon ausgedrueckt wird. Dies erklAErt die Reaktion der OEffentlichkeit, die sich in
den hinzugefuegten Beifalls- und Missfallenskundgebungen manifestiert: Vor der suggestiven Macht
der Worte schlAEgt der unartikulierte Protest rasch in beifallende Zustimmung um.
Damit wird deutlich: Wer sich durch AEussere Form obrigkeitlicher Reden tAEuschen lAEsst, wer sich
bloss deswegen mit deren Inhalt kritiklos identifiziert, weil sie den Sprachduktus unantastbarer
Wahrheit plagiieren, der wird zum willenlosen Kaspar in den HAEnden skrupelloser Einsager,
die Sprachmanipulation als Methode der Bewusstseinssteuerung gebrauchen, um den Einzelnen
den herrschenden ideologischen Normen anzupassen, hier dem Wohlstandsdenken der postindu-
striellen Gesellschaft. Gegen diese indirekte und daher oft nicht wahrgenommene Verletzung indi-
vidueller Freiheit hilft nur eines: Wachsamkeit und kritische Reflexion, die wie Handke bei
Brecht gelernt hat2 durch Verfremdung vorgegebener Denkgewohnheiten ermoeglicht werden.
Der Doppelpunkt nach der dritten Lesung des Gesetzes ist als Einladung zu solch kritischer Hal-
tung zu verstehen.

Stand: 1.6.2000

Mireille Tabah ist Professorin fuer Germanistik an der Universit Libre in Bruessel.

2 Peter Handke: Strassentheater und Theatertheater, in: Ders.: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms,
Frankfurt am Main 1972, S. 51-55.




E-mail:
http://www.handkelectures.freeservers.com


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